Reiterei
Reiterei, Kavallerie, im Allgemeinen die zu Pferde fechtende Mannschaft, zerfällt nach ihrer Fechtart in die schwere oder Linien- und die leichte Kavallerie. Nach ihrer Bewaffnung und Bekleidung ist die Reiterei 1) Kürassiere (wohin auch die Garde du Corps K13, die ehemaligen Gensdarmes K10, so wie Karabiniers und Grenadiere zu Pferde gehören), welche die schwere Kavallerie ausmachen. 2) Dragoner (auch Chevau-légers, reitende Jäger, und die französischen Chasseurs à Cheval.) 3) Husaren, 4) Ulanen, (in einigen Armee Lanciers, Bosniaken, Tataren, Kosaken, auch ehemals in der Preußischen Armee Towarzysz. Die Reiterei der Osmanen ist unter dem Namen Sipahi bekannt. Übrigens s. auch Kavallerie.
Quelle: Rumpf, H. F.: Allgemeine Real-Encyclopädie der gesammten Kriegskunst (Berl. 1827)
Reiterei (Kavallerie, franz. Cavalerie, v. ital. cavallo, lat. caballus, Pferd); die zu Pferd fechtende Truppe, Hauptwaffe neben Infanterie und Artillerie. Sie ist schwierig zu beschaffen, kostspielig zu erhalten und langsam auszubilden. Der Gebrauch der Reiterei beruht auf Ausnutzung der Kraft und Schnelligkeit des Pferdes, ihre Bewaffnung aus Säbel, Degen oder Pallasch, einer meist kurzen Handfeuerwaffe (Karabiner) und in den Heeren, wo man der Kavallerie zutraut, dass sie jede Gelegenheit zum Angriff zu Pferde suchen und ausnutzen wird, der Lanze. Der Karabiner kann nur wirksam zur Anwendung kommen, wenn der Reiter als Fußkämpfer auftritt, weshalb seit Beginn des 20. Jahrhunderts in allen Armeen eine sorgfältige Ausbildung zu Fuß stattfindet. Durch ihre Schnelligkeit ist die Reiterei unentbehrlich für das rasche Einholen von Nachrichten und Überbringen von Meldungen und Befehlen für Sicherheits-, Aufklärungs- und Kundschaftsdienst, wozu sie deshalb auch überall gebraucht wird, wo irgend ein Pferd noch gut fortkommen kann, während bei guten Wegeverbindungen maschinelle Einrichtungen: Fahrrad, Motorwagen u. a., für diesen Dienst eintreten.
In der Marschleistung übertrifft Reiterei das Fußvolk bei Zurücklegung kürzerer Strecken und bei Gewaltmärschen auf einige Tage; auf längere Dauer aber widersteht das Pferd weniger den erschöpfenden äußeren Einflüssen und gleicht die Ausdauer der Infanterie die Schnelligkeit der Pferde wieder aus. Im Kampf soll die Reiterei durch die Wucht, welche die aufs höchste entwickelte Schnelligkeit des Pferdes erzeugt, im »Chok«, sowie durch geschickten Gebrauch der Lanze den Gegner überrennen. Wirksam ist der Chok aber nur, wenn die Reiterei in geordneten, geschlossenen Abteilungen auftritt, und wenn der Gegner womöglich überrascht wird.
Zur vollen Ausnutzung der Kraft der Pferde und Geltendmachung aller Waffen muss die Reiterei in entwickelter Linie attackieren, vorher, um überraschend den Gegner in ungünstiger Lage, womöglich in Flanke und Rücken, anfallen zu können, verdeckt in leicht beweglichen Formationen manövrieren und zur Attacke rasch aufmarschieren, nachher, wenn durch den Angriff die eigene Ordnung gelöst ist, womöglich die Spitzen der fliehenden Feinde überholen, dabei aber gegen das Auftreten neuer feindlicher Reiterei durch geschlossen folgende Reserven gedeckt sein. Dies sind die Hauptgesichtspunkte der Führung, deren schwere Kunst im richtigen Erkennen und raschen Ausnutzen der schnell vorübergehenden günstigen Momente für das Auftreten der Reiterei besteht, die aber dann eines gewaltigen moralischen Eindrucks gewiss sein kann. Zur vollen Ausnutzung kommt die Reiterei nur, wo sie freie Umsicht, Raum zur Entwicklung und zum Anlauf sowie möglichst ebenen, festen Boden unter sich hat. Nebel und Dunkelheit machen im allgemeinen ihre Bewegungen unsicher, können aber auch wertvoll für die Annäherung an den Feind sein.
Nach dem Schlag der Pferde und Menschen teilt man die Reiterei in leichte und schwere; die letztere hat schwerere Pferde und Reiter. Die Husaren, Dragoner und Chevaulegers haben die leichtesten. Die gesamte deutsche Reiterei des frühen 20. Jahrhunderts ist mit Lanzen, Karabinern und Degen bewaffnet, Unteroffiziere und Offiziere mit Pistole, Unteroffiziere ohne Lanze. Der Unterschied zwischen leichter und schwerer Reiterei bezieht sich nicht auf eine verschiedene Verwendung. Alle Regimenter müssen gleichmäßig für die Attacke wie für das Gefecht zu Fuß ausgebildet sein. Letzteres ist für die Kavallerie ein Notbehelf, der nicht gescheut werden darf und, wenn ergriffen, kräftig gebraucht werden muss. In Kriegen des 20. Jahrhunderts wird auch die deutsche Kavallerie, schon weil der Gegner dies tun wird, häufig zum Gefecht zu Fuß absitzen. Verwendungseinheit (taktische Einheit) der Reiterei ist die Eskadron von 100–150 Pferden, darüber Regimenter von meist 4 Eskadrons. Zu höheren Verbänden ist die Reiterei in Brigaden (meist 2 Regimenter) und in selbständigen Divisionen (meist 3 Brigaden mit reitenden Batterien, Pionieren und Maschinengewehrabteilungen) vereinigt.
Die einzige Verwendungsart der Reiterei im Gefecht zu Pferde ist die Attacke, die Form dazu die Linie, bei größeren Abteilungen in mehreren Treffen zur Flankendeckung und zur Verwendung an entscheidender Stelle. Nur wo zum Aufmarsch kein Raum oder keine Zeit ist, attackiert die Reiterei in Kolonnen und da, wo der Gegner nicht mehr in geschlossenen Abteilungen gegenübersteht, es also mehr auf rasches Einholen des wankenden Feindes ankommt, in aufgelöster Ordnung. Ein Angriff in Staffeln (Echelons), jedes in sich in Linie, ergibt sich stets da, wo die Zeit fehlt, in Einer Linie aufzumarschieren. Im Gefecht wie im Sicherheitsdienst ist endlich zu unterscheiden die Verwendung der Reiterei in unmittelbarer Verbindung mit den anderen Waffen als Divisionskavallerie und in größeren selbständigen Kavalleriedivisionen oder -korps, die vor und nach den Schlachten um Tagemärsche dem Heere voraus den Gegner aufsuchen und die Bewegungen des eigenen Heeres verschleiern, also eine hauptsächlich operative Tätigkeit ausüben, hierbei jedoch, ebenso wie in der rangierten Schlacht, zum Gefecht in großen Verbänden gelangen.
Das Stärkeverhältnis der Reiterei zur Infanterie, nach Zeit und Ländern vielfach wechselnd, ist in den europäischen Heeren seit den Napoleonischen Kriegen ziemlich gleichmäßig mit ⅕ bis 1⁄7 der Infanterie festgehalten worden, im deutschen Friedensheere des frühen 20. Jahrhunderts ⅕ bis ⅙, im Feldheer bedeutend weniger.
In den organisierten Heeren des Altertums überwog die Reiterei an Stärke und Bedeutung, wo Kulturverhältnisse und Pferdezucht darauf hinwirkte. Im alten Griechenland verhält sich die Reiterei zum Fußvolk wie 1:11. Den 4-6000 Mann zählenden römischen Legionen waren dauernd 300 Reiter und die Reiter der Bundesgenossen zugeteilt. Überall bildete in den mächtigsten Staaten das Fußvolk die ausschlaggebende Waffe, wenn auch die Kriegsgeschichte von manchen rühmlichen Erfolgen der Reiterei berichtet. Bei den germanischen und gallischen Völkerschaften kommt organisierte Reiterei nur bei einigen Stämmen vor. Diese kämpfte, wie auch bei den Römern, häufig abgesessen, gewissermaßen also eine Vorgängerin der später oft genannten berittenen Infanterie. Der Siegeslauf der asiatischen Reitervölker, Hunnen und Awaren, gab den Völkern Europas den Anstoß zur Schaffung von Reiterei, und gestützt auf das Lehnssystem, bildeten bis zur Einführung der Schusswaffen die schwergepanzerten Ritter mit ihren bewaffneten Knechten zu Pferde den Kern der Heere.
Mit der Vervollkommnung der Feuerwaffen verschwand allmählich die schwere Rüstung, und die Lanze machte der Pistole, dann der Arkebuse und dem Karabiner Platz. In übertriebener Wertschätzung des Feuergefechts verleugnet die damalige Reiterei den geschlossenen Anprall und den Nahkampf, sie führt den Kampf mit der Feuerwaffe zu Pferde, die französischen Dragoner und Karabiniers traten als berittene Infanterie in der Mitte des 17. Jahrhunderts vorübergehend in die Erscheinung. Erst Gustav Adolf brachte den Einfluss der Reiterei auf den Gang und Ausfall der Schlacht wieder zur Geltung. Seine sehr bewegliche Reiterei stürzte sich in vollem Lauf auf den Gegner, das erste und zweite Glied feuerte in nächster Nähe vom Pferde, das dritte brauchte die blanke Waffe, diese soll entscheiden. Die englische Reiterei unter Cromwell kämpft mit Erfolg nach ähnlichen Grundsätzen, sonst aber ist ein allgemeiner Rückgang der Bedeutung der Reiterei zu bemerken.
In Preußen betrug die Reiterei unter dem Kurfürsten Georg Wilhelm nicht über 1000 Pferde, der Große Kurfürst vermehrte sie auf 32 Eskadrons Kürassiere und 8 Eskadrons Dragoner. Beim Tode Friedrich Wilhelms I. zählte die Reiterei schon 60 Eskadrons Kürassiere, 45 Eskadrons Dragoner und 9 Eskadrons Husaren, die Eskadron 50-60 Reiter. Friedrich II. vermehrte die Husaren, stellte der Reiterei wieder ihre wahre Gefechtsausgabe, den geschlossenen Ansturm, das rücksichtslose Reiten und Einhauen mit der blanken Waffe, und sicherte ihr, von Führern wie Zieten und Seydlitz unterstützt und mit klarem Blick die Schwächen der Lineartaktik erkennend, im Siebenjährigen Kriege die allbekannte Überlegenheit. Sein Grundsatz, dass Reiterei sich nie darf stehenden Fußes attackieren lassen, sondern jedem Angreifer entgegenzugehen hat, ist noch im 20. Jahrhundert die Grundlage für die Taktik der Waffe. Die zweigliederige Aufstellung der Reiterei wurde von allen Heeren angenommen.
In den Napoleonischen Kriegen spielt die französische Kavallerie eine hervorragende Rolle. Napoleon weist ihr neue wichtige Aufgaben auf dem Gebiete der strategischen Aufklärung zu, in der die Reiterei nunmehr den Hauptwert ihrer kriegerischen Wirksamkeit erkennt. Unter Führern wie Murat, Bessières etc. übt sie auch auf den Schlachtfeldern, wenn auch an Stärke und Ausbildung der gegnerischen Kavallerie kaum gewachsen, oft einen entscheidenden Einfluss auf den Ausgang der Schlacht aus.
Die preußisch-deutsche Kavallerie steht in ihrer Ausbildung und ihren Gefechtsgrundsätzen auf dem Boden der friderizianischen Überlieferungen. Deutschland hat noch im frühen 20. Jahrhundert Kürassiere, Dragoner, Husaren, Ulanen, Reiter (Sachsen), Chevaulegers (Bayern) und Jäger zu Pferde; Italien: Lancieri, Cavallegieri, ebenfalls mit Säbel, Lanze und Karabiner; Österreich: Dragoner, Husaren, Ulanen, mit Säbel und Karabiner bewaffnet; England: Kürassiere, Dragoner, Lanciers (Ulanen), Husaren; Frankreich: Kürassiere, Dragoner, Jäger (chasseurs à cheval), Husaren, Chasseurs d’Afrique und Spahis; Russland: Kürassiere, Dragoner, Ulanen, Husaren, bei den Kavalleriedivisionen nur Dragoner und Kosaken, sämtlich (mit geringen Ausnahmen) mit Säbel und Dragonergewehr bewaffnet.
Die Misserfolge mangelhaft geführter Reiterei gegenüber einem modern bewaffneten unerschütterten Gegner in den Kriegen in Südafrika und Ostasien haben zu einer übertriebenen Wertschätzung des Gefechtes der Reiterei zu Fuß und zu einer weitverbreiteten Scheu davor geführt, die Reiterei im Kampf mit der blanken Waffe starken Verlusten auszusetzen, wobei die Kostspieligkeit der Waffe und die Schwierigkeiten des Ersatzes der Abgänge erheblich die Meinungen beeinflussen. Am rückhaltlosesten zog England die Folgerungen aus seinen gegenüber den vortrefflich schießenden Buren allerdings sehr trüben Erfahrungen, indem es die Lanze ganz abschaffte und in dem neuen Reglement außerordentlichen Wert auf das Gefecht zu Fuß legte. Wenn nun dieses auch sehr wichtig ist und der Führer oft dazu wird greifen müssen, so kann man jene Misserfolge in den beiden Kriegen doch, soweit Nachrichten vorliegen, stets Fehlern zuschreiben, welche die Führung gemacht hat. Diese ist allerdings sehr schwierig und bedarf, da die Gelegenheiten zu Erfolg in der Attacke sehr schnell vorüberzugehen pflegen, kalten Blutes, rücksichtslosen schnellen Entschlusses und schnellster Durchführung desselben. Wo diese Eigenschaften vorhanden sind, werden sich Gelegenheiten zu erfolgreichen Attacken auch heute noch bieten, ohne die keine ausgiebige Aufklärung möglich ist. Daran hält man in Deutschland fest; um dem Reiterführer zu Beginn des Feldzuges eine voll brauchbare Truppe in die Hand zu geben, vermeidet man Neuzusammenstellungen ausrückender Reitereitruppenteile, speziell auch die Ergänzung durch Ankaufspferde, behält die Lanze bei, sorgt aber auch für gute Ausbildung im Schützengefecht. Die Uniformen der Reiterei dürften für den Krieg noch vielfach zu auffällig sein.
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Quelle: Meyers Großes Konversations-Lexikon, 6. Auflage 1905–1909