Marseille

Basilika Notre Dame de la Garde.

Marseille, nach der neuen Französischen Geographie die Hauptstadt des Departements Rhone-Mündungen, eine große und schöne Französische Handelsstadt an der Küste von Provence, mit einem Freihafen, wird in die alte und neue Stadt geteilt, in welcher letzteren sehr schöne Häuser sind. Vorzüglich schön daselbst ist die berühmte Vista (Aussicht) auf einer Höhe, eine halbe Stunde vor Marseille, von welcher man das Mittelmeer vor sich, und zur linken die unzähligen weißen Bastiden (so heißen die Lusthäuser vor Marseille) übersieht. Nicht minder anziehend ist der so genannte Cours; ein Spaziergang, wo besonders Sonntag und Freitags abends ein überraschendes Menschengewühl ist.

Auf einem 147 m hohen Kalkfelsen südlich des historischen Stadtkerns, an der Stelle einer mittelalterlichen Wallfahrtskapelle, befindet sich die Basilika Notre-Dame de la Garde. Von Henri-Jacques Espérandieu im neobyzantinischen Stil entworfen, und in den Jahren 1853 bis 1864 erbaut, gehört »La Bonne Mère« neben dem Château d’If zu den Wahrzeichen der Stadt Marseille. Luise von Savoyen, Mutter des Königs von Frankreich, und dessen Frau Claudia, die junge Königin von Frankreich, reisten am 3. Januar 1516 ins Midi, um hier den siegreich aus der Schlacht bei Marignano (Melegnano) zurückkehrenden König Franz I. von Frankreich zu treffen. Am 7. Januar 1516 stiegen sie zur Wallfahrtkapelle Notre-Dame de la Garde über der Stadt auf. Franz I. traf am 22. Januar 1516 ein, begab sich ebenfalls zu Kappelle und besichtigte die Gruft dort. Im Verlauf seines Besuches erkannte der König, dass die Stadt Marseille schlecht verteidigt war. Die mangelhafte Befestigung sollte sich im Jahre 1524 noch deutlicher zeigen, als Charles III., Herzog von Bourbon-Montpensier, ein Verbündeter Kaiser Karls V. Marseille belagerte und die Stadt um ein Haar erobert hätte. Franz I. entschied sich nun zum Bau zweier zusätzlicher Forts, eines auf der Insel If, das andere auf dem Gipfel des Garde. Die Bauarbeiten am Château d’If gingen schnell voran und waren 1531 abgeschlossen, während das Fort de Notre-Dame de la Garde erst 1536, beim Einmarsch kaiserlicher Truppen in die Provence, fertiggestellt wurde.

Château d’If vor Marseille.

Château d’If im Zentrum der Reede von Marseille. Auf Befehl Königs Franz I. zwischen 1527 und 1531 auf einer der Frioul-Inseln erbaut, sollte das Schloss von If die Verteidigung der Stadt Marseille verbessern. Ab Mitte des 16. Jahrhunderts diente Château d’If außerdem als Staatsgefägnis. Der Kommandant der Fleute Grand-Saint-Antoine, Jean-Baptiste Chataud, war hier inhaftiert, nachdem sein Schiff 1720 die Pest nach Marseille gebracht hatte. Er wurde freigelassen, sobald klargestellt war, dass sein Schiff vorschriftsgemäß in Quarantäne gelegen hatte. Der Marquis de Sade, Graf Mirabeau, Fanny Dillon, Gemahlin des Generals Betrand, Louis Auguste Blanqui, und der einbalsamierte Leichnam des in Kairo ermordeten Generals Jean-Baptiste Kléber, waren einige der anderen berühmten Gefangenen des Château d’If. Der Schriftsteller Alexandre Dumas ließ Edmond Dantès, die Hauptfigur seines Romans »Der Graf von Monte Christo«, 14 Jahre im Kerker von Château d’If schmoren.

Die Einfahrt zum Alten Hafen von Marseille.

Die Einfahrt zum Alten Hafen von Marseille, mit Fort Saint-Jean links, der Zitadelle Saint-Nicolas rechts, und der Basilika Notre-Dame de la Garde im Hintergrund der Bildmitte.

Die Zitadelle, Fort Saint Nicolas.

Fort Saint-Nicolas, von den Einheimischen »la Citadelle« genannt, wurde auf Befehl Ludwigs XIV. zwischen 1660 und 1664 vom Chevalier de Clerville erbaut. Über der Hafeneinfahrt und in Schussweite von Fort Saint-Jean gelegen, sollte diese Festung die Zufahrt zum Alten Hafen von Marseille beherrschen.

Die Zitadelle, Fort Saint Nicolas.

Bastionen und Geschützscharten des Forts Saint-Nicolas über der Einfahrt zum Alten Hafen von Marseille, vom Fort Saint-Jean aus gesehen.

Fort Saint Jean.

Fort Saint-Jean verdankt seinen Namen einer Komménde der Hospitaliter, die Ende des 12. Jahrhunderts auf diesem Sporn des Hügels Saint-Laurent erbaut wurde. Bei Ausgrabungen fanden sich hier Spuren der ersten Besiedelung durch die Griechen im 6. Jahrhundert vor Christus. Mitte des 15. Jahrhunderts ließ König René I. die Hafeneinfahrt durch einen starken Viereckturm befestigen. Der runde Leuchtturm entstand 1664. Der Bau des Forts, von Ludwig XIV. initiiert, wurde nach der Enteignung der Johanniter und zahlreicher Hausbesitzer 1668 bis 1671 vom Chevalier de Clerville verwirklicht. Vauban ließ 1679 einen Wassergraben anlegen, der das Fort völlig von der Stadt abschnitt.

Die Arsenale von Marseille.

Die alte Hafenmeisterei »Capitainerie des Galères« in der Rue Sainte, hier links im Bild, wird heute als Hotel genutzt. Daneben befindet sich das Restaurant Les Arcenaulx.

Château d’If vor Marseille.

Parallel zur Rue Sainte standen zwei 450 m lange Zeughäuser des »Arsenal des Galères«, zwischen denen eine Straße verlief. Das ans Hafenbecken angrenzende Gebäude beherbergte die Werkstätten und das Zuchthaus (Bagne) für die zur Zwangsarbeit Verurteilten. Im Zeughaus südlich davon war die Seilerei untergebracht. Die letzten noch erhaltenen Kanäle des ehemaligen Galeerenhafens wurden 1926 bis 1929 mit Bauschutt verfüllt und asphaltiert. Sie tragen die Straßennamen Cours Jean-Ballard, Cours d’Estienne d’Orves, und Place aux Huiles.

Marseille zählte vor der Revolution gegen 90.000 Einwohner, hatte beträchtliche Fabriken von Alaun, Seide, Galanteriewaren, Seife, Korallen u. a. und trieb einen ansehnlichen Handel nach der Levante und nach der Nordafrikanischen Küste. Durch die Revolution hat jedoch diese Stadt – welche fünf hundert Jahr vor Christi Geburt von emigrierten Klein-Asiaten gestiftet wurde, zuerst den Weinstock und die Olive nach Frankreich brachte, und unter den Römern wegen der Feinheit ihrer Sitten berühmt war – überaus gelitten. Anfangs waren die Marseiller die ersten Beförderer der Revolution im Süden von Frankreich, und ihre Freiwilligen hatten am 10. August am kühnsten vorangefochten. Dieß zeigt auch schon der berühmte Marseiller Marsch: wiewohl man irrt, wenn man glaubt, dass sie ohne denselben zu singen nie gegen den Feind gerückt seien; sie sangen ihn, wie natürlich, in Stunden der Ruhe. »Als aber Robespierre und der Berg sich die Herrschaft im National-Convent zu verschaffen suchten, und das Schreckenssystem seinen Anfang nahm, suchten die großen Städte Marseille, Toulon, Lyon nebst Bourdeaux, von Natur Rivalen der Hauptstadt, und durch die daselbst herrschenden Gräuel um so mehr empört, da sie wirklich viele königlich-Gesinnte in sich fassten, im mittägigen Frankreich eine Gegenrevolution zu bewirken. So wie ihnen aber überhaupt der anhaltende Ernst fehlte, so hatten sie auch keinen Vereinigungspunkt, wie ihn die Jacobiner schon an dem National-Convent hatten. Indessen wagten vorzüglich Marseille und Lyon kühnen Versuche.« (Vergl. den Art. Lyon.) Den 3. Juni 1793 wurde der Jacobiner-Club zu Marseille gänzlich geschlossen und die Stadt wegen dieses Ereignisses beleuchtet. Marseille bewaffnete sich, nachdem es seine Deputierten abgerufen hatte, und nannte diese Bewaffnung eine force departementale. Schon waren die Marseiller bis über Avignon vorgerückt, um sich mit den Lyonesern zu vereinigen (die meisten anderen Departements, welche der Gegenrevolution beigetreten waren, hatten nach der Bekanntmachnung der neuen (zweiten) Constitution und einer Amnestie, den 27. Juni, ihre Gesinnungen geändert), als General Cartaux, welcher gegen sie geschickt worden war, sie nach dem entscheidenden Treffen vom 27. Aug. völlig überwand und am 28. als Sieger in Marseille einzog, da dann diese Stadt ein sehr trauriges Schicksal erfuhr.

Quelle: Meyers Großes Konversations-Lexikon, 6. Auflage 1905–1909

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