Schießen

Schießen.

Schießen, heißt, einen Körper, ein Geschoss, in der durch die Lage des Geschützes oder Gewehrs bestimmten Richtung, vermittelst der Kraft des Pulvers, wegtreiben. Diese Richtung wird durch die gerade Linie erhalten, welche man zwischen Visier, Korn und dem zu treffenden Gegenstand herzustellen sucht, indem man die gerade Linie, welche man schon zwischen seinem Augenpunkt, dem Visier und Korn gefunden hat, so erhöht, oder erniedrigt, dass die Verlängerung derselben in den zu treffenden Punkt fällt. Sobald das Geschoss das Geschütz verlassen hat, bewegt es sich in einer Bogenlinie fort, von welcher man annehmen muss, dass sie in einer lotrechten Ebene liegt, welche durch die Mittellinie der Seele gedacht werden kann; soll daher das Ziel von dem Geschoss getroffen werden, so muss jene lotrechte Ebene, gehörig erweitert, mit dem Ziel zusammentreffen; es muss also auch die Linie über Visier und Korn, oder die Visierlinie, mit der Mittellinie der Seele in einerlei lotrechten Ebene liegen, wenn man durch die Visierlinie die Richtung des Geschützes bestimmen will.

Einem Geschütz diese Richtung zu geben ist nicht schwierig, wohl aber die Höhe dieser Bogenlinie zu bestimmen, in welcher das Geschoss sich fortbewegt; denn bleibt es auch immer mit dem zu treffenden Gegenstand in einer und derselben senkrechten Ebene, so kann es doch, wenn die Bogenlinie zu hoch ist, darüber hinweggehen, oder wenn der Gegenstand zu weit, und die Bogenlinie zu niedrig ist, vor demselben niederfallen. Daher hängt die Richtung des Geschützes, zunächst der Einrichtung der Visierlinie mit dem Ziel, von der Entfernung des letzteren, von der forttreibenden Kraft des Pulvers, und folglich von der Erhöhung oder Senkung der Visierlinie ab.

Der Bogen, in welchem sich das Geschoss bewegt, hängt von dem Winkel ab, den die Mittellinie der Seele mit einer horizontalen Linie macht, die mit ersterer in derselben senkrechten Ebene liegt, und dies ist der Richtungswinkel; bildet die Mittellinie der Seele diesen Winkel über jeder horizontalen Linie, so heißt er der Elevationswinkel, Erhöhungswinkel; bildet die Achse der Seele diesen Winkel unter jener horizontalen Linie, mit derselben, so heißt er der Depressions- oder Inklinationswinkel, Senkungswinkel; sind beide Linien parallel, und findet also kein Richtungswinkel statt, so ist diese die horizontale Richtung.

Es ist also beim Schießen, um zu treffen, zu berücksichtigen: 1) dass die Visierlinie mit der Mittellinie der Seele und dem Ziele in einer senkrechten Ebene liege. 2) Dass man die Entfernung des zu treffenden Gegenstandes wisse. 3) Dass man die forttreibende Kraft des Geschützes kenne, um den Richtungswinkel zu bestimmen. Das erstere muss mit der Einrichtung des Geschützes verbunden sein, und ist nachher leicht bis auf das Ziel auszudehnen; die zweite kann man messen, oder man erwirbt sich durch Übung die Fertigkeit, sie mit dem bloßen Auge zu schätzen; den Richtungswinkel zu bestimmen, muss man nicht nur eine gewisse Übung haben und die Regeln dazu kennen, sondern auch von der Beschaffenheit des Geschützes genau unterrichtet sein. Nach der Verschiedenheit des Geschützes ist daher auch die forttreibende Kraft desselben, welche aus der Ladung entsteht, verschieden.

Von dem groben Geschütz ist folgendes zu merken: wenn der Bogen, welchen das Geschoss in der Luft beschreibt, beträchtlich hoch ist, so bedient man sich des Ausdrucks werfen, woher man auch die Benennung Wurfgeschütz entstanden ist. Die Linie, welche das Geschoss in der Luft beschreibt, heißt die Bahn oder Flugbahn desselben; die Entfernung vom Geschütz, bis an den Punkt, wo das Geschoss liegen bleibt, heißt die Schussweite (Wurfweite); der Winkel, in welchem das Geschoss in die Erde trifft, heißt der Einfallswinkel; wenn derselbe nicht zu groß, und der Boden nicht zu weich ist, so bleibt das Geschoss nicht liegen, sondern prallt, vermöge der Federkraft seines Materials, von der Erde ab, und erhebt sich wieder unter einem Winkel, welcher der Abprallswinkel heißt, so dass die Bahn des Geschosses aus mehreren Bogen bestehen kann. Jeden Punkt, wo das Geschoss die Erde trifft, nennt man einen Aufschlag, woraus sich der Begriff von der Weite eines Aufschlages von selbst ergibt.

Da außer der Kraft, welche das Geschoss forttreibt, auch noch seine eigene Schwere auf dasselbe wirkt, so wird es nur im ersten Augenblick in der Richtung des Stoßes fortgehen, dann aber sich immer mehr senken, bis es auf die Erde trifft. Es beschreibt daher eine krumme Linie, welche vollkommen regelmäßig und der Parabel gleich sein würde, wenn es nicht einen bedeutenden Widerstand in der Luft fände, welcher die Gestalt der Bahn wesentlich abändert, und im vergrößerten Verhältnis zunimmt, wenn die Geschwindigkeit des Geschosses zunimmt. Hieraus folgt, dass die Geschwindigkeit des Geschosses in der Seele des Geschützes am größten ist, dann aber fortwährend abnimmt, und dass die krumme Linie der Bahn keineswegs so regelmäßig ist, als sie ohne den Widerstand der Luft sein würde. Die Auffindung und Berechnung dieser Bahn ist eine der schwierigsten Aufgaben der Mathematik.

Man teilt die Flugbahn in zwei Teile, und nennt den Teil vom Geschütz an bis auf ihren höchsten Punkt, den steigenden, den anderen hingegen den niedersteigenden Ast. Jener höchste Punkt liegt aber nicht über der Mitte der Schussweite, sondern näher nach dem Punkt zu, wo die Kugel die Erde trifft; der aufsteigende Ast weicht anfänglich weniger von der Richtung der Mittellinie der Seele ab, weil die Einwirkung der Schwere, im Verhältnis der Geschwindigkeit, mit welcher sich das Geschoss hier noch bewegt, nur gering ist. Jedoch ist die Linie des aufsteigenden Astes in keinem ihrer Teile gerade, und entfernt sich in ihrem höchsten Punkt schon sehr bedeutend von ihrer anfänglichen Richtung. Der niedersteigende Ast ist ungleich steiler als der aufsteigende, weil gegen das Ende desselben die Geschwindigkeit so viel abgenommen hat, dass ihre Einwirkung sogar geringer werden kann, als die der eigenen Schwere des Geschosses.

Wenn das Geschoss die Erde in einem Winkel von 15 Grad und darüber trifft, so bleibt dasselbe da, wo es hintrifft, liegen oder stecken; ist aber dieser Winkel kleiner, und der Boden nicht gar zu weich, so prallt es ab, und geht in einem neuen Bogen weiter. Der Abprallungswinkel ist nur bei sehr harter Erde eben so groß, als der Einfallswinkel, in weicherem Boden aber wir er größer, zuweilen doppelt so groß. Das Geschoss kann auf gleiche Art noch mehrere Aufschläge machen, bis es zuletzt nicht mehr Kraft genut hat, sich über die Erde zu erheben.

Die Kraft, welche die Geschosse äußern, heißt die Perkussionskraft; sie hängt von der Schwere der Geschosse und von ihrer Geschwindigkeit ab. Bei gleichen Geschwindigkeiten wird daher das größere Geschoss eine größere Kraft äußern; bewegt sich aber das kleinere Geschoss bedeutend schneller, so kann es eben so viel Kraft haben, als das größere sich langsam fortbewegende. Die Kraftäußerung nimmt ab, je weiter sich das Geschoss vom Geschütz entfernt; auch diejenigen Geschosse, welche mehrere Aufschläge machen, verlieren an ihrer Kraft, doch nicht immer so bedeutend, dass sie nicht noch eine, für die meisten Umstände hinreichende Wirkung haben sollten. Bomben, welche sich in der großen Bogen bewegen, und also aus einer beträchtlichen Höhe herabfallen, erhalten hierdurch von Neuem eine bedeutende Geschwindigkeit, und sie vermögen daher auch sehr feste Gegenstände zu zertrümmern. Der getroffene Gegenstand erleidet um so mehr Erschütterung, je größer der Widerstand ist, welchen er dem Geschoss entgegensetzt; ist derselbe geringer, so wird zwar das Geschoss tiefer eindringen, aber keine so große Erschütterung hervorbringen.

Da das gewöhnliche Geschoss nur einen Punkt treffen kann, so hat man die Wirkung des Geschützes dadurch zu erhöhen gesucht, dass mehrere Kugeln, Kartätschenkugeln genannt, auf einmal abgeschossen werden, welche sich vor dem Geschütz ausbreiten, und also eine weit größere Fläche bestreichen. Da aber sehr viel von der Pulverkraft, durch die Zwischenräume jeder zu einem Geschoss vereinten Kugeln, verloren geht, und überhaupt kleiner Kugeln verhältnismäßig einen viel größeren Widerstand in der Luft erleiden, als größere, so kann das Pulver nicht so viel auf jede einzelne Kartätschenkugel wirken, wie auf ein anderes Geschoss, und jene werden nie die Entfernung erreichen, welche bei diesen hervorgebracht werden kann. Auch ist die Richtung des Stoßes, in welcher die einzelnen Kugeln fortgetrieben werden, wegen ihrer nicht zu vermeidenden unregelmäßigen Lage sehr verschieden. Die Kugeln breiten sich nach allen Seiten vor dem Geschütz aus, und bilden also gleichsam einen Kegel, welcher der Streuungskegel heißt. Je weiter sie sich vom Geschütz entfernen, um so mehr werden sie sich ausbreiten, und man kann annehmen, dass der Durchmesser des Streuungskreises, welcher als die Grundfläche des Streuungskegels betrachtet werden kann, bei Kanonen ungefähr 110, und bei Haubitzen etwa ⅛ von der Schussweite beträgt; einzelne Kugeln werden sich jedoch immer finden, welche sich weiter ausbreiten. Die schwächeren schlagen nicht weit vom Geschütz ein, und gehen teils mit einem Aufschlag weiter, oder bleiben gleich stecken; die stärkeren Kugeln erreichen die gehörige Weite entweder in einem Bogen, oder mit einem, oder mit mehreren Aufschlägen; noch andere Kugeln gehen teils mit einem Aufschlag, teils mit einem Bogen über das Ziel weg. – Übrigens: s. noch vorzüglich Schießübungen; ferner Bedienung, Ladung, Schuss, Wirkung, Eindringen etc.

Quelle: Rumpf, H. F.: Allgemeine Real-Encyclopädie der gesammten Kriegskunst (Berl. 1827)

Schießen, allgemein das Forttreiben von Geschossen mit Hilfe einer bewegenden Kraft, seit dem 15. Jahrhundert vornehmlich der Explosivkraft des Schießpulvers. Die Bahn des Geschosses (s. Flugbahn) ist von so vielen Verhältnissen abhängig, dass man nicht von Gewissheit, sondern nur von Wahrscheinlichkeit des Treffens sprechen kann. Die Umstände, welche die Trefffähigkeit beeinflussen, sind etwa: 1) Veränderungen an der Waffe, besonders der Seele und Visiereinrichtungen, die beim Schießen eintreten und nicht konstant bleiben; 2) ungleiche Beschaffenheit des Pulvers und des Geschosses; 3) ungleiche Bedienung beim Laden, Richten, Abfeuern und Reinigen der Waffe; 4) Temperatur, Luftdichtigkeit, Windstärke und -Richtung; 5) Festigkeit des Geschützstandes; 6) Art und Beweglichkeit des Zieles. Je mehr sich diese Einflüsse im Laufe des Schießens gleichbleiben, um so mehr können die daraus hervorgehenden Fehler unschädlich gemacht werden. Soweit letztere in der Waffe liegen, werden sie durch das Einschießen derselben festgestellt und beseitigt.

Das richtige Schätzen der Entfernung vom Ziel fördert zwar die Treffwahrscheinlichkeit; da aber die ablenkenden Einflüsse hierbei außer Rechnung bleiben und stets wechseln, so ist die erschossene Entfernung der wirklichen nicht immer gleich, woraus der bedingte Wert der Entfernungsmesser für das Schießen hervorgeht, von denen man heute in allen Arten des Krieges Gebrauch macht, da sie sehr handlich konstruiert sind; trotzdem ist das Schätzen der Entfernung mit dem Auge oder das Abmessen von Karten nicht zu entbehren. Ebenso bedarf es bei jedem Schießen der andauernden Beobachtung der Wirkung. Bei der Artillerie wird jeder einzelne Schuss nach der Lage der Sprengwolke des Geschosses zum Ziel beobachtet und zunächst derart geschossen, dass ein Schuss davor und einer dahinter liegt (Gabelschießen), worauf nach einfachen in den betreffenden Schießvorschriften enthaltenen Schießregeln die Schüsse durch Änderung der Aufsatzstellung nach und nach dem Ziel genähert werden. Die Leistungen der Geschütze zeigen die in den Schießvorschriften enthaltenen Schusstafeln.

Beim Schießen der Infanterie ist die Wirkung nur selten durch Geschossaufschläge im Ziel zu erkennen, vielmehr muss der Gegner dauernd mit dem Fernglas beobachtet werden, auch ist die feindliche Feuerwirkung ein Anhalt für die eigene. S. Richtmethoden, Flugbahn, Geschütz, Handfeuerwaffen, Maschinengewehr, und Jagdgewehre.

Bibliographie

  • Berlin: Handbuch der Waffenlehre (Berl. 1904)
  • Brandeis: Der Schuß (Leipz. 1896)
  • Groß: Die Berechnung der Schußtafeln (Leipz. 1901)
  • Korzen und Kühn: Waffenlehre (Wien 1904 ff.)
  • Rohne: Schießlehre für Infanterie (2. Aufl., Berl. 1906)
  • Sabudski: Die Wahrscheinlichkeitsrechnung, ihre Anwendung auf das Schießen und auf die Theorie des Einschießens (deutsch, Stuttg. 1906)
  • Wille: Waffenlehre (3. Aufl., Berl. 1905, 3 Bde.)

Quelle: Meyers Großes Konversations-Lexikon, 6. Auflage 1905–1909

Glossar militärischer Begriffe