Mauer

Stadtmauer in Perge, der Hauptstadt von Pamphylien, in der heutigen Türkei.

Mauer, aus natürlichen oder künstlichen Steinen ohne oder mit Bindemittel (Mörtel) hergestellter Baukörper. Mauern ohne Mörtel heißen Trockenmauern. Grund- oder Fundamentmauern haben die ganze Gebäudelast auf den Baugrund zu übertragen. Um den Bau vor Senkungen zu schützen, lässt man die Grundmauern bis auf den guten Baugrund (s. d.), mindestens aber bis zu frostfreier Tiefe (0,75 m in den gemäßigten Klimaten) reichen. Beim Gebäude bilden Umfangs- oder Umsassungsmauern die Außenwände im Gegensatz zu den Innenmauern, die, je nachdem sie einen Teil der Dach- und Deckenlast tragen oder nicht, in Haupt- oder Mittel-, bzw. Scheidemauern zerfallen. Die Stärke (Dicke) der Mauern hängt von ihrer Art und Größe, von ihrer Belastung sowie von der Festigkeit der Mauermaterialien ab und wird zum Teil durch Bauvorschriften bestimmt.

Die Stärke der Grundmauern richtet sich nach der für die Flächeneinheit des Baugrundes zulässigen Belastung. Diese beträgt für gewöhnlichen guten Baugrund, d. h. festliegenden Sand, bei regelrecht tiefliegender Grundmauersohle 7–8 kg auf 1 qcm; in Berlin wird nur eine Inanspruchnahme bis zu 2,5 kg auf 1 qcm gestattet. Die Stärke freistehender Mauern wird allein gegen Winddruck berechnet. Empirisch wird sie je nach der Güte des Materials = ⅛ – 112 der Mauerhöhe gemacht, wobei die Mauer doppelt so lang als hoch sein kann. Wird sie länger, so muss sie Verstärkungspfeiler erhalten. Die mittlere Stärke geradlinig begrenzter, geböschter, nicht zu hoher Futtermauern nimmt man erfahrungsmäßig = ¼ – ⅓ der Mauerhöhe an, bei Futtermauern ungewöhnlicher Art, ebenso wie bei Stützmauern, d. h. Futtermauern, bei denen das Erdreich über der Mauerkrone nicht waagerecht abgeglichen ist, sondern, eine Böschung bildend, höher liegt, muss besondere Berechnung eintreten. Dasselbe gilt von der Stärkebestimmung der Widerlagsmauern.

Nur für gewöhnliche im Hochbau vorkommende Bogen und Gewölbe geringer Spannweite kann man für diese sich mit empirischen Regeln begnügen. Nach letzteren erhalten die Widerlager, je nachdem sie nicht, resp. geringer oder stärker belastet sind, folgende Bruchteile der Spannweite s zur Stärke: 1) Gurtbogen: a) halbkreisförmige ¼ s, b) überhöhte oder spitzbogige ⅕ bis ⅙ s, c) gedrückte (bis ⅛ Pfeil) ¼ bis ⅓ s, d) segmentförmige (bis 112 Pfeil) ½ s, e) scheitrechte ⅔ s; 2) Tonnengewölbe: a) in Halbkreisform ¼ bis ⅕ s, b) gedrückte je nach ihrer Pfeilhöhe ¼ bis 27 s, c) überhöhte ⅙ bis 17 s etc.

Frontmauern erhalten bei einer Geschosshöhe bis zu 4,2 m im obersten Stock 1½ Stein, in jedem tiefer liegenden Geschoss ½ Stein mehr Stärke; bei Vorhandensein von Scheidewänden in Abständen gewöhnlicher Zimmerbreiten können die Umfassungsmauern je zweier Stockwerke gleiche Stärke erhalten, bei größeren Stockwerkshöhen tritt entsprechende Verstärkung (nach Berechnung) ein. Für Umfassungswände bei kleinen einstöckigen Wohngebäuden würde statisch 1 Stein Stärke genügen, man macht sie aber, um den Witterungseinflüssen zu begegnen, gern 1½ Stein stark oder blendet der 1 Stein starken Mauer innen unter Belassung einer schmalen Luftisolierschicht eine ½ Stein starke Wand vor, wobei besonders stark beanspruchte Punkte (Pfeiler, Ecken etc.) voll gemauert werden.

Freistehende Giebel erhalten im Dachraum 1 Stein Stärke mit ½ Stein starken Verstärkungspfeilern, darunter die Stärken der Frontmauern. Nicht freistehende Giebelmauern werden im Dachboden 1 Stein stark gemacht (die Stiele der Dachstühle können sogar eingebunden werden) und nehmen in immer zwei nach unten folgenden Geschossen um je ½ Stein an Stärke zu. Für Pultdachwände gelten die gleichen Erfahrungsregeln. Balkentragenden Mittelwänden gibt man in den vier oberen Stockwerken 1½, in den beiden unteren Geschossen (6 Geschosse im ganzen vorausgesetzt) 2 Stein Stärke. Scheidewände werden durch alle Geschosse ½ Stein massiv, bei großer Geschosshöhe besser in Fachwerk hergestellt, doch macht man gern in gewissen Abständen eine derselben 1 Stein stark. Brandmauern sind immer wenigstens 1 Stein stark zu machen; ebenso Treppenhauswände, die auf mindestens 1½ Stein zu verstärken sind, wenn sie die Treppenkonstruktion tragen sollen.

Werksteinmauern können etwa um ¼ schwächer als Ziegelmauern, lagerhafte Bruchsteinmauern müssen um etwa ⅕ stärker, Mauern aus unregelmäßigem Geschiebe fast doppelt so stark gemacht werden. Zu den Umfangsmauern von Gebäuden, die stets trocken, im Sommer kühl, im Winter warm sein sollen, verwendet man häufig hohle Backsteine (Lochsteine), oder man stellt diese Mauern aus zwei eine lotrechte Luftschicht einschließenden, parallelen, mittels zahlreicher Durchbinder vereinigten Teilen her. Um Mauern aus minderwertigem Material ein besseres Ansehen zu geben und sie widerstandsfähiger gegen Witterungseinflüsse zu machen, ohne ihre Kosten allzusehr zu erhöhen, verblendet man ihre Außenseite mit besseren Backsteinen (Verblendern). Werksteinmauern pflegen eine Hintermauerung aus Backsteinen zu erhalten der Kostenersparnis wegen und um trockene Räume zu erzielen. Im weiteren Sinne rechnet man zu den Mauern solche aus Stampf- oder Gussmassen, Lehm-Pisé, Kalk-Pisé, Beton-, Rabitz-, Monier-Konstruktionen u. dgl. (s. d.). Über den Verband der Mauersteine s. Steinverband. Um Mauern vor aufsteigender Feuchtigkeit zu schützen, bringt man wagerechte Isolierschichten (s. d.) in den untersten Mauerteilen an.

In den ältesten Zeiten errichtete man Mauern aus großen unbehauenen Steinen, legte diese ohne alle Verbindungsmittel übereinander und füllte die Zwischenräume mit kleineren Steinen aus (Trockenmauern, kyklopische Mauern s. Tafel »Architektur III«, Fig. 1 u. 3). Später ebnete man die ungleichen Seiten der rohen Steine und bemühte sich, sie entweder polygon oder lagerhaft so glatt zu behauen, dass sie beim Auflegen aufeinander passten. Zusammengehalten wurden sie ohne Mörtel bloß durch ihre eigene Schwere. Überbleibsel von solchen alten steinernen Gebäuden findet man in den meisten alten Kulturländern. Auf diese Art waren z. B. die Mauern um Korinth, um Eretria in Euböa, zu Mykene und zu Ostia in Epirus gebaut.

Durch regelmäßiges rechteckiges Behauen der Steine gelangte man später zu den Quadermauern, und zwar führte man solche als Trockenmauern entweder in gleichen Schichtenhöhen und aus gleichgroßen Quadern in regelmäßigem Fugenwechsel (isodomum) oder in ungleich hohen Schichten und aus ungleichen Quadern (pseudisodomum) aus. Schwache Mauern wurden vollständig aus Quadern erbaut, dickere erhielten nur Quaderverblendung (emplekton), die mit Bindern (diatonoi) in die Hintermauerung eingriff. So waren z. B. die Stadtmauer von Agrigent gebaut. In Gegenden, denen es an natürlichen Steinen fehlte, baute man schon frühzeitig Backsteinmauern mit einem Bindemittel, wozu die Babylonier außer Kalkmörtel auch das in ihrem Lande häufig vorkommende Erdpech benutzten. Auch im alten Griechenland findet sich häufig Backsteingemäuer, so in Mantineia, Athen etc.

Bei den Etruskern und Römern wurden in früher Zeit, wie bei den Griechen, kyklopische Mauern ausgeführt, doch ist das Mauerwerk hier lagerhafter. Bemerkenswerte Reste bieten die Stadtmauern von Volterra, Cortona, Fiesole, auch der Kapitolunterbau und die Cloaca maxima in Rom (s. Tafel »Architektur IV«, Fig. 5) sowie andere Baureste der etrurischen und frühen römischen Zeit. Bruchsteinmauerwerk aus kleineren Steinen wurde in Mörtel ausgeführt. Vitruv nennt es opus incertum oder antiquum und unterscheidet es von dem opus reticulatum, einem Mauerwerk, das aus viereckig gehauenen Steinen bestand, die nicht wagerecht, sondern so übereinander lagen, dass ihre Fugen diagonal verliefen, wodurch die Mauer ein netzförmiges Ansehen erhielt (s. Netzwerk; auch Opus). Unter Opus spicatum verstanden die Römer ein Mauerwerk, bei dem die Steinschichten wie die Körner einer Ähre zueinander lagen. Außerdem führten schon die Römer, wie später auch das Mittelalter, Füllmauern aus, d. h. Mauern, bei denen nur die Außenseiten von Werksteinen oder Ziegeln ausgeführt, das Innere aber mit Steinbrocken oder Scherben in Mörtel angefüllt war.

Bibliographie

  • Debo, Lehrbuch der Mauerwerkskonstruktionen (Hannov. 1901)

Quelle: Meyers Großes Konversations-Lexikon, 6. Auflage 1905–1909

Modellbau