Westfalen

Westfalen (hierzu Karte »Westfalen«), Provinz des [ehem.] preußischen Staates, wurde 1815 gebildet aus dem Herzogtum Westfalen und Engern (s. d.), dem Fürstentum Minden, der Grafschaft Tecklenburg Solmsschen Anteils, den Grafschaften Lingen und Ravensberg, dem größten Teil des Hochstifts Münster, den Fürstentümern Paderborn und Corvey und der Stadt Dortmund, der Grafschaft Mark, dem Fürstentum Siegen, dem Amt Reckenberg, den mediatisierten Fürstentümern, Graf- und Herrschaften Salm-Ahaus, Salm-Bocholt, Rheina-Wolbeck, Salm-Horstmar, Rietberg, Rheda, Anholt, Dülmen, Gehmen, Bentheim, Steinfurt, Wittgenstein-Wittgenstein, Wittgenstein-Berleburg, dem Solmsschen Amt Neukirchen, wozu 1851 noch die Stadt Lippstadt kam, die Lippe gemeinschaftlich mit Preußen besaß. Die Provinz grenzt gegen Norden an Hannover, gegen Osten an Hannover, Schaumburg-Lippe, den hessen-nassauischen Kreis Rinteln, Lippe, Braunschweig, Hessen-Nassau und Waldeck, gegen Südwesten an die Rheinprovinz, gegen Nordwesten an die Niederlande und umfasst einen Flächenraum von 20.214 km² (367.13 mi²).

Der Süden der Provinz wird von einem ausgedehnten Bergland bedeckt, zu dem ganz im Süden, im Gebiet der oberen Sieg, noch Teile des Westerwaldes gehören, die sich bis zu den Quellen der Sieg und Eder ziehen. In der Hauptsache wird dieses Bergland als Sauerländisches Gebirge (s. Sauerland) bezeichnet. Es stellt ein ausgedehntes Plateau mit tief eingeschnittenen, vielfach gewundenen, reich bewaldeten und landschaftlich schönen Tälern dar, das im Quellgebiete der Sieg, Lahn und Eder mit einer im allgemeinen von Süden nach Norden streichenden Gebirgsmasse beginnt, die sich nach Westen hin allmählich verflacht, nur in einzelnen Rücken scharf hervortritt und das weite Gebiet zwischen Sieg, Ruhr und Möhne ausfüllt. Die Gebirge im Osten sind das Rothaargebirge, im Härdler 696 m hoch, und im Nordosten daran anschließend das Winterberger Plateau, im Astenberg 827, im Hunau 824 m hoch. Von den im Westen hervortretenden Rücken sind zu nennen: das Ebbegebirge zwischen Volme und Lenne, in der Nordhelle 666 m hoch, und das Lennegebirge zwischen Lenne und Ruhr, das im Homert 660 m Höhe erreicht. Zwischen Ruhr und Möhne dehnt sich der Arnsberger Wald, nördlich von beiden der Haarstrang aus, an letzteren schließt sich westlich der Ardey an. Im östlichen Teil der Provinz, im Regierungsbezirk Minden, befinden sich Ausläufer des rheinischen Schiefergebirges, das Plateau von Paderborn mit dem Eggegebirge, das in dem Völmerstod (468 m) mit den nordwestlichen Gliedern des hercynischen Gebirgssystems zusammenstößt. Diese letzteren erstrecken sich in zwei Reihen nach Nordwesten; die südliche (Teutoburger Wald) endet im Regierungsbezirk Münster bei Bevergern [Hörstel], die nördliche (Wesergebirge) wird von der Weser durchbrochen und läuft alsdann als Wiehengebirge durch den nordöstlichen Teil des Regierungsbezirks Minden, um sich in Hannover zu verflachen. Zwischen beiden Bergreihen breitet sich ein Hügelland aus, das nordwestlich mit dem Steinkohlengebirge von Ibbenbüren seinen Abschluss findet. Das Norddeutsche Tiefland greift auch nach Westfalen hinüber: einmal an der Weser bei Minden, wo innerhalb desselben die Stemmer Berge (201 m) hervortreten, das andere Mal mit der Münsterschen Bucht, zwischen dem Teutoburger Wald einer- und dem Ardey, Haarstrang und dem Plateau von Paderborn anderseits, bis zu den Quellen der Ems und Lippe hinaus. Den östlichen Teil derselben bildet die Senne. Unter den Hügelmassen in der Münsterschen Bucht sind die Schöppinger Berge (154 m) und die Hügelgruppe von Beckum (190 m) zu nennen. Das eigentliche Münsterland ist im allgemeinen wenig fruchtbar; dagegen ist der südliche Teil des Tieflandes in dem Hellweg sehr ergiebig. Die Provinz gehört fast ganz den Stromgebieten der Weser, der Ems und des Rheins an. Die Weser berührt Westfalen im Osten und empfängt aus der Provinz die Diemel, Nethe, Emmer und Werre. Die Ems durchzieht die Tieflandsbucht von Münster und nimmt hier die Glane, Aa und Werse auf. Von den Nebenflüssen des Rheins sind die Lippe und Ruhr für Westfalen von hervorragender Wichtigkeit. Jene gehört mit ihren Nebenflüssen (Alme, Aase, Seseke, Haustenbach und Stever) größtenteils dem Tiefland, diese mit ihren Zuflüssen (Möhne, Röhr, Hönne und Lenne nebst Volme) dem Bergland, und zwar fast ausschließlich dem Schiefergebirge an. Noch fließen zum Rhein aus Westfalen die Lahn, Sieg und Emscher, zur Neuen Yssel die Alte Yssel und die Berkel, zum Zuidersee die Vechte mit der Dinkel und zur Fulda (Weser) die Eder. Seen sind in der Provinz nicht vorhanden, von Kanälen durchzieht der Dortmund-Emskanal außer einem kleinen Teile des Regierungsbezirks Arnsberg den Regierungsbezirk Münster von Süden nach Norden, während der sogen. Rhein-Hannoverkanal den Regierungsbezirk Minden durchschneiden wird. Große Moore und Brücher gibt es an der Vechte, Berkel, Lippe, Bastau (unweit Minden) etc. Das Klima ist im allgemeinen gemäßigt; rauh sind nur die Gebirgsgegenden im Süden. Die jährliche Durchschnittstemperatur wechselt zwischen 8,5 und 8,96°, die Regenmenge beträgt im Tiefland 60 bis 70, im Bergland ca. 100 cm. Vgl. Hellmann, Regenkarte der Provinz Westfalen (Berl. 1903).

Die Zahl der Einwohner beträgt (1905) 3.618.090 (179 auf 1 km²), darunter 1.733.413 Evangelische, 1.845.263 Katholiken und 20.757 Juden. Fast ganz evangelisch sind die sechs nördlichen Kreise des Regierungsbezirks Minden (Minden, Lübbecke, Herford, Halle i. W. und Bielefeld Stadt und Land) und die Kreise Altena, Hagen-Land, Schwelm, Siegen und Wittgenstein des Regierungsbezirks Arnsberg, fast ganz katholisch der Regierungsbezirk Münster mit Ausnahme des Kreises Tecklenburg, der südliche Teil des Regierungsbezirks Minden (Kreise Wiedenbrück, Paderborn, Büren, Warburg und Höxter) und die Kreise des Regierungsbezirks Arnsberg, die ehemals das Herzogtum Westfalen bildeten. Die Bewohner sind niederdeutscher Abkunft, und die Volkssprache ist plattdeutsch (s. Tafel »Volkstrachten I«, Fig. 14 u. 15). Unter den Nahrungszweigen steht die Landwirtschaft obenan. Der Bauernstand ist in Westfalen verhältnismäßig zahlreicher als in einer anderen preußischen Provinz, doch sind im Südwesten der Provinz Bergbau und Hüttenbetrieb vorherrschend. Von der Gesamtfläche der Provinz kommen auf Ackerland und Gärten 42,7, auf Wiesen 8,1, auf Weiden 10, auf Forsten und Holzungen 28 Prozent. Die größten Ackerflächen haben die Kreise Herford, Warburg und Minden des Regierungsbezirks Minden und die im Vereich des Tieflandes gelegenen Kreise des Regierungsbezirks Arnsberg; gering sind die Ackerflächen im westlichen und nördlichen Teile des Regierungsbezirks Münster und auf dem Bergland des Regierungsbezirks Arnsberg. Die Provinz liefert Getreide aller Art, Hülsenfrüchte, Buchweizen, Gartengewächse, Flachs und Hanf, Obst etc. Berühmt ist der Kunstwiesenbau im Siegenschen. Einen ansehnlichen Umfang haben die nur geringen Ertrag abwerfenden Weideländereien in der Senne und die Waldungen des Schiefergebirges, die herrliche Laubholzbestände enthalten. Die Ernte ergab 1906: 163.807 t Weizen, 410.532 t Roggen, 22.620 t Gerste, 321.422 t Hafer, 1.239.185 t Kartoffeln, 793.018 t Wiesenheu etc. Nach der Viehzählung von 1906 hatte die Provinz 160.390 Pferde, 713.029 Stück Rindvieh, 175.403 Schafe, 1.328.938 Schweine und (1904) 221.386 Ziegen. Die Pferdezucht, gefördert durch das westfälische Landgestüt in Warendorf, blüht besonders in den fruchtbaren Kreisen des Hellwegs, ist dagegen im Süden gering. Die Rindviehzucht ist von hoher Bedeutung, die Schafzucht meist im Abnehmen begriffen, die Schweinezucht im Tiefland wichtig; bekannt sind die westfälischen Schinken. Der Hauptreichtum der Provinz besteht in Mineralien, namentlich in Steinkohlen und Eisenerzen. Der Bergbau ergab 1906: 53.799.357 t Steinkohlen im Wert von 468,8 Mill. Mark, Eisenerze 1.380.087 t im Wert von 14,5 Mill. Mark, 41.838 t Kupfererze im Wert von 470.000 Mark, 7911 t Bleierze im Wert von 1,6 Mill. Mark, 14.689 t Zinkerze im Wert von 1,8 Mill. Mark, 170.308 t Schwefelkies im Wert von 1,4 Mill. Mark etc. Außerdem wurden gewonnen Quecksilber, Antimon, Salz, Gips, Kalk- und Bausteine, Marmor, Dachschiefer, Töpferton etc. (Vgl. die Karte »Rheinisch-westfälisches Industriegebiet« im 17. Bd.) Unter den Mineralquellen sind die zu Öynhausen, Lippspringe, Driburg und Schwelm am bekanntesten. Neben Landwirtschaft und Bergbau blüht auch die Industrie. Eisen- und Stahlwaren werden hauptsächlich in der ehemaligen Grafschaft Mark, also in den Kreisen Hagen (Enneper Straße), Bochum, Dortmund, Iserlohn und Altena, außerdem im Kreis Siegen fabriziert. Die Hauptsitze für die Fabrikation von Messing- und Bronzewaren sind Iserlohn und Altena, für die von Zinn- und Britanniawaren Lüdenscheid, von Nadeln Iserlohn, von Draht und Drahtwaren Altena. Hervorragende Leinenindustrie haben besonders die Kreise Bielefeld, Herford und Warendorf. Die Baumwollindustrie ist vorzüglich in der westlichen Hälfte des Regierungsbezirks Münster vertreten, die Papierfabrikation von höchster Wichtigkeit, vielfach aber nur Stroh- und Packpapier liefernd, in der Landschaft zu beiden Seiten der unteren Lenne, die Glasfabrikation in den Waldungen der Egge, im Steinkohlengebirge etc., die Gerberei und Lederindustrie im Kreis Siegen. Andere Fabrikate sind Seilerwaren, Segeltuch, feine Fleischwaren (Gütersloh), Pulver, Pottasche, Zucker, Seife, Holzwaren, Fayence, Marmorwaren (Kreis Olpe), Zigarren (Vlotho, Bünde), Töpferwaren im Münsterland etc. Der Handel der Provinz, unterstützt durch 11 Handelskammern (Münster, Bielefeld, Minden, Arnsberg, Bochum, Dortmund, Hagen, Iserlohn, Lüdenscheid, Siegen und Altena), besteht in der Ausfuhr von Leinwand, Baumwollwaren und Naturprodukten, als: Steinkohlen, Eisen, Holz, westfälischen Schinken, Würsten etc. Die vorzüglichsten Handelsstädte sind: Bielefeld, Dortmund und Iserlohn. Schiffbare Flüsse (Weser, Ems, Ruhr, Lippe), gute Landstraßen und zahlreiche Eisenbahnen befördern den Verkehr ungemein. 1905/06 wurde Westfalen von 3039,6 km Vollspureisenbahnen und von 326,7 km Klein- und Straßenbahnen durchzogen. Die Hauptlinien durchziehen die Provinz zumeist von Westen nach Osten oder von Südwesten nach Nordosten und sind zugleich für den Durchgangsverkehr wichtig. Besonders reich entwickelt ist das Netz im Industrierevier. Die Staatsbahnen stehen unter Verwaltung der königlichen Eisenbahndirektionen in Münster, Hannover, Kassel, Essen und Elberfeld.

Für die geistige Bildung sorgen die Universität (früher Akademie, ohne medizinische Fakultät) zu Münster, 27 Gymnasien, elf Realgymnasien, fünf Oberrealschulen, sechs Progymnasien, ein Realprogymnasium, 13 Realschulen, zwei Landwirtschaftsschulen, zwölf Lehrer- und vier Lehrerinnenseminare etc. Für die Verwaltung ist die Provinz, deren Hauptstadt Münster ist, in drei Regierungsbezirke geteilt: Münster mit zwölf, Minden mit elf und Arnsberg mit 27 Kreisen. In Münster befinden sich das Provinzialschulkollegium, eine Generalkommission und die Provinzialsteuerdirektion, in Dortmund ein Oberbergamt. Für die Justiz bestehen ein Oberlandesgericht zu Hamm und die Landgerichte zu Arnsberg, Bielefeld, Bochum, Dortmund, Essen (zur Rheinprovinz, aber in der Hauptsache für westfälische Amtsgerichte), Hagen, Münster und Paderborn (s. Textbeilage »Gerichtsorganisation« im 7. Bd.). Die katholischen Kirchen und Geistlichen stehen unter den Bistümern Münster und Paderborn, die evangelischen unter dem Konsistorium zu Münster. In den deutschen Reichstag (s. Karte »Reichstagswahlen«) entsendet die Provinz 17, in das preußische Abgeordnetenhaus 31 Vertreter. Militärisch bildet die Provinz, mit Ausnahme einer kleinen, dem Bezirk des 11. Armeekorps einverleibten Parzelle, dagegen mit Einschluss eines Teiles des Regierungsbezirks Düsseldorf, den Bezirk des 7. Armeekorps mit dem Sitz des Generalkommandos in Münster. Das Wappen der Provinz ist ein springendes silbernes Pferd auf rotem Schilde (s. Tafel »Preußische Provinzwappen«), Landesfarben: Weiß und Rot.

Bibliographie

  • »Gemeindelexikon der Provinz Westfalen« (hrsg. vom königlichen Statistischen Amt, Berl.)
  • »Zeitschrift für vaterländische Geschichte und Altertumskunde«, herausgegeben vom Verein für Geschichte und Altertumskunde Westfalens (Münst. 1838 ff.)
  • »Beiträge für die Geschichte Niedersachsens und Westfalens« (Hildesh. 1905 ff.)
  • »Jahrbuch des Vereins für die evangelische Kirchengeschichte Westfalens« (Gütersl., seit 1899)
  • »Veröffentlichungen der historischen Kommission der Provinz Westfalen« (Münst. 1898 ff.)
  • »Kunst- und Geschichtsdenkmäler von Westfalen« (Bd. 1 u. 2, Münst. 1881–86; fortgesetzt von Ludorff als »Bau- und Kunstdenkmäler von Westfalen«, Münst. 1893 ff.)
  • »Beiträge zur westfälischen Kunstgeschichte« (hrsg. von Ehrenberg, Münst. 1905 ff.)
  • Beckhaus: Flora von Westfalen (Münst. 1893)
  • Braunbehrens: Die Gemeindeverfassungsgesetze für die Provinz Westfalen (3. Aufl., Berl. 1899)
  • Erhard: Regesta historiae Westfaliae (Bd. 1 u. 2, Münst. 1847–51), dazu als Fortsetzung, Bd. 3–7: »Westfälisches Urkundenbuch« (bis 1289, Münst. 1859–1907)
  • Haselhoff: Die Entwickelung der Landeskultur in der Provinz Westfalen im 19. Jahrhundert (Münst. 1900)
  • Jansen: Die Herzogsgewalt der Erzbischöfe von Köln in Westfalen (Münch. 1895)
  • Jostes: Westfälisches Trachtenbuch (Bielef. 1904)
  • Keller: Die Gegenreformation in Westfalen und am Niederrhein (Leipz. 1881–95, 3 Bde.)
  • Kneebusch: Handbuch für die Provinz Westfalen (Dortm. 1890)
  • Krüger: Die Städteordnung für die Provinz Westfalen (Berl. 1903)
  • Lemberg: Die Hütten- und Metallindustrie Rheinlands und Westfalens (4. Aufl., Dortm. 1905), dazu Literatur im Artikel »Ruhrkohlengebirge«.
  • Löbker: Wanderungen durch Westfalen (Münst. 1873–1879, 6 Tle.)
  • Neukamp: Die Staats- und Selbstverwaltung Westfalens (Bochum 1887)
  • Schücking und Freiligrath: Das malerische und romantische Westfalen (4. Aufl., Paderb. 1897)
  • Schulze, G.: Heimatskunde der Provinz Westfalen (Mind. 1900)
  • Seibertz: Landes- u. Rechtsgeschichte des Herzogtums Westfalen (Bd. 1: Landesgeschichte bis 1508, in 4 Teilen, Arnsb. 1845–75; Bd. 2–4: Urkundenbuch, Arnsb. 1839–54)
  • Seibertz: Quellen der Westfälischen Geschichte (Arns. 1857–69, 3 Bde.)
  • Weddigen: Westfalen, Land und Leute (Paderb. 1896)
  • Wilmans: Die Kaiserurkunden der Provinz Westfalen (Bd. 1 u. 2, Abteilung 1, bis 1254, Münst. 1867–81)

Quelle: Meyers Großes Konversations-Lexikon, 6. Auflage 1905–1909

Historische Orte