Ernte

Getreidestiegen nach der Ernte.

Ernte (althochdeutsch arn, arnôt, mittelhochdeutsch erne, ernde; plattdeutsch statt dessen gebräuchlich Aust, oberdeutsch Fechsung, Fächsung, selten Ohst), das Gewinnen der reifen Feldfrüchte. Im allgemeinen ist zu ernten, wenn die abzuerntende Pflanze oder deren nutzbarer Teil die für die weitere Verwendung entsprechendste Ausbildung erlangt hat. Die gleichzeitige Gewinnung von Frucht und Stroh geschieht bei Getreide, Hülsenfrüchten, Ölgewächsen und Klee- und Grassämereien. Während des Reifens ändert sich die Beschaffenheit der Getreidekörner, sie zeigen beim Zerbrechen milchigen, wachsartigen und festen Inhalt, werden milchreif, gelbreif, vollreif und fallen schließlich leicht aus, werden totreif.

Der rechte Zeitpunkt zur Ernte der Getreidearten ist gekommen, wenn die Körner »gelbreif« geworden, wenn sich das Korn über den Fingernagel noch brechen lässt, wenn beim Weizen die obersten Halmknoten sich bräunen. Wird das Getreide sofort auf dem Felde gedroschen (mit Maschinen), oder kann es in den abgeschnittenen Halmen nachreifen, so schneidet man es vor vollendeter Ausreifung aller Körner, ebenso alle Arten, deren Ähren bei zu großer Hitze und Ausreifung leicht brechen (Gerste), sowie Schotenfrüchte, deren Samen durch Platzen der Schoten leicht ausfallen (Rapsarten, Hülsenfrüchte). Am längsten kann man den Hafer stehen lassen, weil er schwerer ausfällt. Die Ernte der Kartoffeln beginnt, wenn nach dem Absterben des Krautes die Schale der Kartoffel sich mit dem Finger nicht mehr abdrücken lässt. Die Rübe, zumal die Zuckerrübe, soll geerntet werden, wenn die Blätter gelb zu werden beginnen.

Getreidepuppe.

Zum Abernten (Mähen, Hauen, Einschneiden) diente bis ins 20. Jahrhundert vorzugsweise die Sense, seitdem zunehmend die Mähmaschine, die Sichel nur bei Pflanzen, die besondere Vorsicht erheischen, um dem Körnerausfall vorzubeugen (Kümmel etc.), oder die besonderen Widerstand leisten oder gelagert sind. Zum Ausgraben der Kartoffel verwendete man früher meist die Handhacke, ließ auch den Haken vorarbeiten, benutzt seitdem aber Kartoffelerntemaschinen (s. d.). Rüben grub man mit der Grabegabel aus, heute bedient man sich des Rübenhebers (s. d.). Während Hackfrüchte sofort vom Feld an ihren Aufbewahrungsort gebracht werden, haben Getreide, Hülsenfrüchte, Raps, Samenklee meist noch im Felde nachzureifen und abzutrocknen. Bis ins 20. Jahrhundert wurden die abgemähten Früchte in der Regel, nachdem durch Liegenlassen der grüne Unterwuchs (Unkraut, Kleeeinsaat etc.) etwas abgewelkt war, in Garben aufgebunden und zum Trocknen aufgestellt. Die Garben wurden um so stärker gebunden, je länger das Stroh der Halmfrüchte war, doch entschied vielfach auch Landessitte. Mit großen Garben förderte die Aberntung schneller, das Auf- und Abladen erforderte aber kräftigere Leute.

Wintergetreide wurde in Garben von 8–15 kg, Sommergetreide und Hülsenfrucht in der Regel zu 5–8 kg gebunden. Zum Binden der Garben dienten Garbenbänder aus Roggenstroh, oder Jutestricken, Manilahanf, Kokosnussfaser, Hanfschnüren, Seegras, Weidenruten u. dgl. Die gebundenen Garben wurden zu je 6-60 in kleine oder größere Haufen zusammengestellt. Die kleinste Art, die Puppe, Hocke (Fig. 1), wurde gebildet, indem man eine Garbe senkrecht stellte, 5–8 im Kreis daran anlehnte und die Spitze mit einem Seil aus Stroh etc. fest zusammenband. Zum Schutz gegen Regen und Auswachsen des Getreides in den Ähren band man um die Spitze herum eine Garbe (Haube), mit den Ähren nach unten. Die Deckgarbe musste stärker gemacht und recht fest, möglichst nahe am Sturzende, gebunden werden. Das in solche Puppen gesetzte Getreide hielt sich auch bei anhaltend nasser Witterung sehr gut, reifte vollkommen nach, hielt sich auch nach dem Einbringen in die Scheune gut, ließ sich leicht ausdreschen und gab gutes Stroh.

Getreideprisma und Getreidekreuz.

Bei günstiger Witterung genügte das Zusammenlegen in Prismen (Fig. 2). Kreuzmandeln (Getreidekreuze, Fig. 3) waren geeignet für den später geschnittenen Roggen und bei günstiger Witterung. Es wurden hierbei dreimal vier Garben kreuzweise so auf die Erde gelegt, dass die Ährenenden in der Mitte aufeinander zu liegen kamen und ein aus 12 Garben bestehendes Kreuz entstand; auf einen Flügel desselben legte man darauf 2 Garben und auf diese wieder eine Garbe in der Weise, dass die Sturzenden nach Osten gerichtet, die Ähren aber abwärts nach der Wetterseite zu gerichtet waren und ein schräges Dach bildeten.

Stiege und Garbenkasten.

Pyramiden bildete man, indem man 2 Garben gegeneinander so anlehnte, dass die Ähren in die Höhe standen, dazwischen wieder 2 Garben ebenso aufstellte und die Zwischenräume mit 4 Garben ausfüllte. Zur Bildung von Stiegen (Zeilen, Fig. 4) wurden die Garben von kurzhalmigem Getreide in zwei dachförmig gegeneinander geneigten Reihen aufgestellt und die beiden Garben an den Enden der Reihen mit einem Band umschlungen.

Garbenkasten (Fig. 5) entstanden, wenn man aus einer 5–6 Garben entsprechenden Pflanzenmenge einen Kegel aufrichtete, der unterhalb der Ähren mit einem Strohband gebunden und mit einer nach unten geöffneten Garbe als Hut bedeckt wurde; Dachhaufen, wenn man 2 Garben in der Weise übereinander auf die Erde legte, dass das Sturzende der einen nach Süden, das der anderen nach Norden gerichtet war, und auf diese erst 6, dann 4 und 3 Garben so legte, dass sie einen Haufen mit einem nach Westen schräg ablaufenden platten Dach bildeten.

Gewöhnlich wurde das Sommergetreide in solche Dachhaufen gesetzt, wiewohl es rätlicher war, es einige Tage nach dem Mähen in kleinen Spitzhaufen oder wie bei dem leicht ausfallenden Raps, den Hülsenfrüchten in kreisförmigen Haufen, Kasten, Diemen aufzustellen und diese erst beim Einfahren zu binden.

Solche Spitzhaufen bildete man, indem man beim Aufharken der Schwaden starke Wickel machte, diese in eine Spitze zusammengedrückt aufstellte und die Sturzenden kreisförmig ausbreitete. In sehr feuchten Gebirgsgegenden verwendete man zum Trocknen Stangengerüste, Getreideharfen, die, gegen die Windseite gestellt, das Austrocknen wesentlich förderten. Nach dem Aufbinden und Aufstellen des Getreides zum Trocknen wurde das Feld behufs des Sammelns der liegen gebliebenen Ähren mit dem Rechen oder der Hungerharke nachgeharkt. Im allgemeinen bedurfte gelbreif gemähtes Getreide bei heißem und trocknem Wetter auf dem Schwad 2–3, in Stiegen ohne Schutzdecke 4–5, in kleinen Puppen mit Deckgarbe 6–7, in großen Puppen mit Schutzmatte 8–10 Tage zum Nachreifen und Trocknen.

Alle Früchte waren nur in trockenem Zustand bei trockenem Wetter einzufahren, weil sie, nass in die Scheune gebracht, hier mehr dem Verderben ausgesetzt waren als beim ungünstigsten Wetter auf dem Felde. Das Aufbewahren der Frucht erfolgte in Scheunen oder in Diemen (Feimen). Hier unterlagen die aufgehäuften Garben einem Hitz- und Schwitzprozess, der, wenn die Temperatur nicht über 70° stieg, für das Austrocknen des Getreides von Vorteil war. Je feuchter das Getreide eingebracht worden war, um so mehr erwärmte es sich, so dass schließlich die Körner gelb oder braun wurden und das Stroh selbst verkohlte. Das Ausbringen der Körner aus dem Stroh (Dreschen, s. d.) nusste besonders für Saatgetreide vor dem Schwitzen vorgenommen werden. War dies nicht durchführbar, so wurde das Getreide erst durch den Schwitzprozess trocken genug, um gedroschen werden zu können. Nach dem Dreschen war das Getreide zu putzen, von Staub und Unkraut zu reinigen und nach der Korngröße zu sortieren. Hierzu dienten Putzmühlen, Unkrautauslesemaschinen (Trieurs), Sortiermaschinen etc. (s. Getreidereinigungsmaschinen). Die gereinigten und sortierten Körner wurden auf Schüttböden, Kornböden, Speichern aufbewahrt oder, wie in Unterungarn, Rumänien, Bulgarien, in unterirdischen Gruben, Silos, oder bei großen Getreidemassen in Getreidetürmen oder, wie in Amerika, in oberirdischen Getreidesilos (Elevatoren), die mit Vorrichtungen versehen wurden, die das Lüften und Umwenden des Getreides ohne Umschaufeln ermöglichen. In den Speichern waren die Fruchtvorräte besonders den Angriffen des weißen und schwarzen Kornwurmes ausgesetzt, gegen die nur schwer anzukämpfen war.

Die Ernte der Ölgewächse erforderte früher sorgsames Abpassen des richtigen Zeitpunktes, sie wurde im wesentlichen wie die Getreideernte vollführt; die Gewächse, die bei hohem, starkem Stengel am vorteilhaftesten mit der Sichel abgenommen wurden, waren sogleich nach dem Abschneiden in Bunde zu binden, die man in Haufen gestellt abtrocknen ließ, beim Heimfahren waren die Erntewagen mit Leinwandplanen zu bedecken und mit Segeltuch auszuschlagen, oder gleich auf dem Felde auszudreschen.

Die Aufbewahrung der Knollen- und Wurzelfrüchte geschieht bis heute meist in Mieten (s. d.) oder in Kellerräumen. Über die Grünfutter- und Heuernte, bei der die ganze Pflanze im grünen Zustand geschnitten und bei der Heuwerbung getrocknet wird, s. Heu.

Volkswirtschaftliches

Bei der hohen Wichtigkeit der alljährlich in den Hauptkulturländern viele Milliarden an Wert umfassenden Ernten hat die Kenntnis von Erntestand und Ernteaussichten eine sehr große Bedeutung. Schon in der ältesten orientalischen Kulturepoche und im klassischen Altertum begegnet man darum dem Bestreben, den Ausfall der Ernten möglichst rasch wenigstens im allgemeinen kennen zu lernen. Allerdings musste man sich zuerst mit vagen Nachrichten genügen lassen; aber auch im Mittelalter und noch in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts brachte man es nicht über allgemeine Schilderungen der Ernteerträge ohne ziffermäßige Angaben der Ertragsmengen. Nur ausnahmsweise begegnen wir einer förmlichen Organisierung der Ernteberichte, wie sie zuerst in Schweden (seit 1741) und in Sachsen (1755) eingeleitet wurde. Die mustergültigen erntestatistischen Arbeiten, die seit 1837 in Frankreich und 1846 in Belgien organisiert wurden, zeigten nicht bloß die Methode, die zu verlässlicheren Ergebnissen führt, sondern sie bewiesen überhaupt die Möglichkeit, statt der allgemeinen Bezeichnung eine in Zahlen ausgedrückte Angabe der Jahresernten zu liefern.

Nun folgte bald die Einrichtung einer genauen Agrarstatistik in Preußen (1846, Erntetabelle), in Bayern (1854 durch Herman), in Württemberg (1851–54 und 1857 ff.), in den Niederlanden, in Großbritannien und Irland (1855 ff.), in Österreich (1868) und insbesondere in den Vereinigten Staaten von Nordamerika, wo der Zensus alle zehn Jahre detaillierte Angaben über Ausdehnung der Kultur, des Anbaues und der Produktion liefert. Man sucht Zahlenangaben über die jährlichen Einzelerträge pro Flächeneinheit und über die daraus zu berechnenden Gesamterträge, über die Qualität des Produktes (ausgedrückt im Gewicht), über Menge und Marktpreis. Aus solchen durch längere Zeit fortgesetzten Beobachtungen stellt man die Beschaffenheit einer Durchschnitts- oder Mittelernte ziffermäßig fest und bezeichnet deren Größe durch die Zahl 100; die einzelne Jahresernte wird dann in ihre Qualität und Quantität nicht bloß absolut angegeben, sondern soll zugleich durch jene Relativzahlen, die ihr Verhältnis zur Mittelernte ausdrücken, charakterisiert werden.

Man begnügt sich heute nicht mehr mit einer summarischen Angabe des letzten Ernteergebnisses, sondern verzeichnet auch die Mittel und Bedingungen, durch welche die Bodenerträge herbeigeführt wurden, um daraus diese selbst zu berechnen. Daher geht die neue Erntestatistik von weitläufigen Vorerhebungen aus über Ausdehnung des produktiven Bodens, Teilung desselben in Kulturgattungen und Bonitäten, wirklich bestellte Flächen, Ertrag der Flächeneinheit verschiedener Kategorien an den verschiedenen Produkten; dann erstreckt sie sich über die physisch-geographischen Produktionsbedingungen (Lage und Bodengepräge, geognostische Verhältnisse, Bodenarten, Gewässer, Klima), die ethnographischen Verhältnisse (Volkszahl, Anzahl der Arbeitskräfte in der Bodenkultur etc.), die politischen und sozialen Verhältnisse (Agrarverfassung, Besitzstände), das Ausmaß der Hauptkulturarten, den herrschenden Wirtschaftsbetrieb, das wirklich vorhandene lebende und tote Kapital etc.

Bibliographie

  • Nowacki: Untersuchungen über das Reifen des Getreides (Halle 1870)

Quelle: Meyers Großes Konversations-Lexikon, 6. Auflage 1905–1909

Pflanzen im Architekturmodell- und Dioramenbau