Königreich Westphalen, 1807–1813

Königreich Westphalen, 1807–1813.

Westphalen, ehemaliges Königreich, Vasallenstaat des französischen Kaiserreichs, von Napoleon I. dem Tilsiter Frieden gemäß durch Dekret vom 18. Aug. 1807 aus dem Herzogtum Braunschweig, Kurhessen (ohne Hanau, Schmalkalden und Nieder-Katzenelnbogen), den preußischen Gebietsteilen Altmark, Magdeburg, Halberstadt, Hohnstein, Hildesheim, Goslar, Quedlinburg, Eichsfeld, Mühlhausen, Nordhausen, Paderborn, Minden, Ravensberg, Münster und Stolberg-Wernigerode, den hannoverschen Gebieten Göttingen, Grubenhagen, den Harzdistrikten und Osnabrück, dem sächsischen Anteil an der Grafschaft Mansfeld und den sächsischen Ämtern Gommern, Querfurt, Barby und Treffurt, dem Gebiet von Corvey und der Grafschaft Kaunitz-Rietberg gebildet, im ganzen 37.883 km² mit fast 2 Mill. Einwohnern.

Napoleon I. gab das Königreich, dessen Einkünfte 9.250.000 Taler betrugen, und das zum Heer des Rheinbundes ein Kontingent von 25.000 Mann stellte, seinem jüngsten Bruder, Hieronymus (Jérôme), der am 10. Dez. 1807 in seiner Residenz Kassel eintraf und dem Land eine vom 15. Nov. datierte, der französischen nachgebildete Verfassung verlieh. Die Reichsstände bestanden aus 100 Mitgliedern, nämlich 70 Vertretern des Grundeigentums, 15 der Kaufleute oder Fabrikanten und 15 des gelehrten Standes. Die Verfassung enthielt viele liberale Grundsätze und verhieß wichtige Reformen. Indes eine durchaus bureaukratische, von drei Franzosen (Jollivet, Siméon und Beugnot) geleitete Verwaltung organisierte das Land in kurzer Frist nach französischem Muster, und Napoleon schritt jederzeit aus polizeilichen oder militärischen Gründen nach Belieben ein. Die Hälfte aller Domänen behielt er sich zur Belohnung seiner Generale vor, und das Land musste eine 12.500 Mann starke französische Besatzung in Magdeburg unterhalten. Außerdem waren noch bedeutende Reste der den einzelnen Provinzen auferlegten Kriegssteuer (35 Mill.) an Frankreich zu zahlen. Die Finanzlage des Königreichs war daher von Anfang an schlecht, und die beiden verdienstvollen deutschen Finanzminister v. Bülow und Malchus konnten bei den hohen Anforderungen nichts leisten. Die Reichsstände waren nur ein Schein; die Landeskultur lag danieder. Vor allem erregte den Unmut des Volkes das wüste Treiben des üppigen Hofes, an dem sich um den gutmütigen, aber schwachen und leichtsinnigen König unwürdige französische Abenteurer drängten, die das Volk aussogen. Kattes und Dörnbergs Unternehmen 1809 sowie Schills Streifzug, der Aufstand des hessischen Obersten Emmerich 24. Juni im Marburgischen und der Zug des Herzogs von Braunschweig zeigten, obwohl erfolglos, von der im Volk herrschenden Missstimmung.

Die Vereinigung des größten Teils von Hannover außer Lauenburg (14. Jan. 1810), wodurch dem Königreich Westphalen 25.769 km² mit 647.000 Menschen zufielen, brachte diesem keinen Gewinn, denn Hannover war seit 1806 methodisch von den Franzosen ausgesogen. Ende 1810 ward alles Land zwischen der Nordsee und einer von dem Einfluss der Lippe in den Rhein zur Ems oberhalb Telgte, sodann zum Einfluss der Westfälischen Werre in die Weser und endlich zur Elbe oberhalb des Einflusses der Stecknitz in dieselbe gezogenen Linie mit Frankreich vereinigt, so dass Westphalen von nun an nur 45.427 km² mit 2.065.970 Seelen enthielt. Dazu kam, dass Westphalen die Verpflegung von weiteren 6000 Franzosen übernehmen und sein Rheinbundskontingent erhöhen musste.

1813 mussten die Bewohner Westphalens die größten Opfer bringen, um das in Russland vernichtete Heer und Armeematerial wieder neu herzustellen; die Todesstrafe wurde für jede Desertion und dreijährige Zwangsarbeit jedem widerspenstigen Konskribierten angedroht. Bereits im August ging ein Teil der westphälischen Reiterei an der böhmischen Grenze zu den Österreichern über. Schon 25. Sept. wurde Braunschweig von dem Marwitzschen Freikorps überfallen, Tschernyschew erschien 28. Sept. vor Kassel, während der König schnell flüchtete. Der General Alix kapitulierte 30. Sept., überließ die Stadt den Kosaken und zog mit der schwachen Besatzung ab. Tschernyschew erklärte 1. Okt. das Königreich für aufgelöst, zog aber am 3. wieder von Kassel ab und an die Elbe zurück, worauf Alix die Hauptstadt mit einigen Truppen wieder besetzte. Am 16. Okt. kam der König nach Kassel zurück, verließ aber 26. Okt. Residenz und Land auf immer. Das Königreich fiel auseinander.

Bibliographie

  • Cranz, Philip: The Westphalian Army of the Napoleonic Wars
  • Göcke: Das Königreich Westphalen (vollendet von Ilgen, Düsseld. 1888)
  • Holzapfel: Das Königreich Westphalen (Magdeb. 1895)
  • Kleinschmidt: Geschichte des Königreichs Westphalen (Gotha 1893)
  • Pivka, Otto von: Napoleon’s German Allies (1) – Westfalia and Kleve-Berg (Reading 1975)
  • Servières: L’Allemagne française sous Napoleon I. (Par. 1904)

Quelle: Meyers Großes Konversations-Lexikon, 6. Auflage 1905–1909

Figuren der Westphälischen Armee der Napoleonischen Kriege, 1807–1813