Halberstadt

Halberstadt, Fürstentum im niedersächsischen Kreis, entstand durch den Westfälischen Frieden aus dem gleichnamigen Bistum (s. unten), bestand als kurbrandenburgischer Besitz bis 1807 und umfasste mir der Grafschaft Regenstein, die 1671 dazugeschlagen wurde, einen Flächenraum von 1820 km² mit 119.400 Einwohnern. Im Jahr 1807 zu dem Königreich Westphalen geschlagen, kam das Fürstentum 1813 wieder an Preußen und bildet gegenwärtig, mit Ausnahme des zum Mansfelder Gebirgsbezirks Merseburg geschlagenen vormaligen Kreise Ermsleben und der zum Kreis Grafschaft Hohenstein gehörigen Herrschaften Lora und Klettenberg, die vier Kreise Aschersleben, Halberstadt, Oschersleben und Osterwieck des preußischen Regierungsbezirks Magdeburg.

Das Bistum Halberstadt soll schon von Karl d. Gr. zunächst in Seligenstadt (Osterwieck) gestiftet sein. Hildegrim I., früher Bischof von Châlons (Châlons-sur-Marne, jetzt Châlons-en-Champagne), der 809 jenes Bistum erhielt, verlegte 820 den Sitz nach Halberstadt; von 840–853 war der gelehrte Schüler Alkuins, Haimo, Bischof; Hildegrim II. (853–888) weihte den Dom St. Stephan. Unter Siegmund I. (894–923) erlangte der bischöfliche Sprengel, der dem Erzbistum Mainz unterstand, schon eine bedeutende Ausdehnung. Unter seinem Nachfolger Bernhard (924–968) wurde 936 die Eisenwerke von Gröningen und die Harzbergwerke entdeckt und in Betrieb gesetzt. Der Sprengel begriff damals in sich die Gaue Nordthüringau, Hartingau, Darlingau, Hassigau und Schwabgau; doch musste Bischof Hildeward 968 hiervon mehreres zur Stiftung des Bistums Merseburg und des Erzbistums Magdeburg abtreten. Er baute den unter seinem Vorgänger 965 eingestürzten Stephansdom wieder auf, in dem er 983 eine vom Bischof von Metz geschenkte kostbare Reliquie (Blut vom heil. Stephanus) feierlichst deponierte, und erwarb 996 vom Kaiser das Markt-, Zoll- und Bannrecht. Sein Nachfolger Arnulf (996–1023) erhielt von Kaiser Heinrich II. die Gerichtsbarkeit über Halberstadt und Seligenstadt und das Recht des Heerbannes in seinem Sprengel. Unter ihm wurde Halberstadt 998 zur Stadt erhoben und die Liebfrauenkirche erbaut. Buchard I. (1036–1059) erbaute eine bischöfliche Residenz (den Peterhof), 24 Stiftshöfe oder Kurien für die Kapitularen und auf dem Huy, einer Anhöhe, eine Kapelle, woraus später die Huysburg entstand. Sein Nachfolger Burchard II. (Buko, 1059–88, s. Burchard 2) baute den 1060 samt der Hälfte der Stadt Halberstadt abgebrannten Dom wieder auf und erwarb 1063 für sein Stift die Immunität. Ein unermüdlicher Gegner Heinrichs IV., wurde er 1076 von diesem kurze Zeit gefangen gehalten, 1088 aber von den Sachsen in Goslar erschlagen. Bischof Ulrich (seit 1149) erregte durch seine feindliche Gesinnung gegen Kaiser Friedrich I. Unruhen und ward deshalb 1160 abgesetzt. Nach dem Frieden von Venedig (1177) durch Alexander II. in seine Würde wieder eingesetzt, geriet er mit Heinrich dem Löwen, dem Bischof Gero inzwischen einen Teil des bischöflichen Kirchengutes zu Lehen aufgetragen hatte, in Streit. Heinrich eroberte 1179 Halberstadt, plünderte es und führte Ulrich, der 1181 starb, gefangen weg. Um 1200 brannte der Dom wiederum ab, und wenn auch Bischof Friedrich II. (1209–36) den Bau des neuen begann, so dauerte doch die Vollendung bis 1491. Unter dem Bischof Johann von Hoyne brach 1420 eine Empörung des Volkes aus, die 1425 mit Hilfe Braunschweigs und Magdeburgs unterdrückt wurde.

Obgleich die Reformation in Halberstadt schon 1542 Eingang fand, so herrschten hier doch noch bis 1566 katholische Bischöfe. Dann wählte das Kapitel den zweijährigen Herzog Heinrich Julius von Braunschweig zum Bischof, um während der Administration die bedeutenden Schulden des Stiftes tilgen zu können. 1578 zur Regierung gelangt und 1589 auch Herzog von Braunschweig geworden, schaffte Heinrich Julius 1591 in Halberstadt die katholischen Bräuche ab und starb 1613. Nach der Regierung seiner Söhne Heinrich Karl, Rudolf und Christian, des bekannten Parteigängers im Dreißigjährigen Kriege, folgte als letzter Bischof von Halberstadt Leopold Wilhelm von Österreich, unter dem 1641 die Grafschaft Regenstein zum Hochstift kam, was indes einen langen Prozess mit Braunschweig zur Folge hatte. Durch den Westfälischen Frieden kam das Hochstift 1648 als Fürstentum (s. oben) an Brandenburg, das jedoch erst nach dem Tode Leopold Wilhelms 1662 davon Besitz nahm. Vgl. Lucanus, Historische Bibliothek des Fürstentums Halberstadt (Halberst. 1778–84, 2 Bde.) und Beitrag zur Geschichte des Fürstentums Halberstadt (das. 1784–88, 2 Bde.); Frantz, Geschichte des Bistums, nachmaligen Fürstentums Halberstadt (das. 1853); »Urkundenbuch des Hochstifts Halberstadt und seiner Bischöfe« (hrsg. von G. Schmidt, Leipz. 1883–89, Bd. 1–4; bis 1425); Nebe, Die Kirchenvisitationen des Bistums Halberstadt in den Jahren 1564 und 1589 (Halle 1880); Langenbeck, Geschichte der Reformation des Stiftes Halberstadt (Götting. 1886); Clajus, Kurze Geschicht des ehemaligen Bistums und spätern weltlichen Fürstentums Halberstadt (Osterwieck 1901).

Halberstadt.

Halberstadt, ehedem Hauptstadt des Fürstentums (s. oben), jetzt Stadtkreis im [ehem.] preußischen Regierungsbezirk Magdeburg, liegt an der Holzemme, 123 m ü. M. Die Bauart der Stadt ist altertümlich, der sogen. Holz- oder Überbau im allgemeinen vorherrschend. Viele Häuser sind durch altes Holzschnitzwerk künstlerisch interessant (namentlich der Alte Ratskeller, die Ratswaage etc.). Das sehenswerteste Gebäude ist der Dom, an der Ostseite des Domplatzes. Er ist 135 m lang, 23 m breit, 30 m hoch und macht im Innern mit den schlank aufragenden Säulen und den schmalen, hohen Seitenschiffen einen majestätischen Eindruck. Das Chor, durch einen Lettner vom Schiff getrennt, bildet einen Dom im Dom.

Der Domschatz, größtenteils im ehemaligen Kapitelsaal untergebracht, enthält eine Fülle von Reliquien und Kunstgegenständen. Von 1850 bis 1871 ist das Gebäude restauriert worden, doch mussten die beiden schlanken Türme, um dem Einsturz vorzubeugen, 1883–86 abgetragen werden. Der Wiederaufbau wurde 1893 begonnen und 1896 vollendet. Nahe dem Haupteingang liegt der sogen. Teufels-, Leggen- oder Lügenstein, eines der Wahrzeichen Halberstadts, wahrscheinlich ein heidnischer Opferaltar. Das Westende des Domplatzes nimmt die 1146 geweihte viertürmige Liebfrauenkirche ein, eine Pfeilerbasilika mit alten Relieffiguren und Wandmalereien, 1848 restauriert. Die Mitte des Domplatzes ziert ein Kriegerdenkmal. Unter den übrigen kirchlichen Bauwerken (sechs evangelische, zwei katholische Kirchen, ein altlutherische Kapelle und eine Synagoge) verdient noch Erwähnung die Martinikirche im Spitzbogenstil mit zwei ungleichen Türmen; unter den sonstigen Gebäuden sind bemerkenswert: das altertümliche Rathaus (1360–81 erbaut), an dem eine riesige Rolandssäule steht, der Alte Ratskeller (von 1461), der Petershof (ehemals Residenz der Bischöfe, jetzt Amtsgericht mit Gefängnis), das jetzt restaurierte, zu städtischen Zwecken bestimmte Domprobsteigebäude mit Freskomalereien im Stadtverordnetensitzungssaal, das Gymnasialgebäude, das Schullehrerseminar in der Anlage »Plantage«, woselbst auch ein Denkmal für den Volksschulpädagogen K. Kehr errichtet wurde, das Kreishaus etc. Hinter dem Dom liegt das Haus, in dem der Dichter Gleim wohnte, mit dessen Bibliothek und über 100 Porträten von bekannten Zeitgenossen, darunter das berühmte Bild Lessings von Tischbein. Die Zahl der Einwohner beträgt (1900) mit der Garnison (ein Infanterieregiment Nr. 27 und 4 Eskadrons Kürassiere Nr. 7) 42.810, darunter 4285 Katholiken und 773 Juden.

Die Industrie der Stadt erstreckt sich auf Handschuh-, Hanfschlauch-, Leder-, Gummiwaren-, Papier-, Zigarren-, Zucker-, und Maschinenfabrikation, Spirituosenbrennerei etc.; auch befindet sich in Halberstadt eine große Eisenbahn-Reparaturwerkstatt. An ein ehemals hochberühmtes Erzeugnis der Stadt erinnert eins der Wahrzeichen, das Broyhanmännchen an einem Haus der Worth, der Sage nach Konrad Broyhan, der 1526 zuerst in Halberstadt (nach anderen in Hannover) das nach ihm benannte Getränk braute. Der Handel wird unterstützt durch eine Handelskammer und eine Reichsbanknebenstelle. Für den Eisenbahnverkehr ist die Stadt Knotenpunkt der Staatsbahnlinien Magdeburg–Halberstadt und Halle-Zellerfeld und der Eisenbahn Halberstadt–Tanne; dem Verkehr in der Stadt dient eine elektrische Straßenbahn. Halberstadt hat ein Gymnasium (seit 1675, mit Bibliothek von 40.000 Bänden und ca. 200 Handschriften), Realgymnasium, Oberrealschule, Lehrerseminar, Taubstummenanstalt und ist Sitz eines Landgerichts, eines Landratsamtes (für den Landkreis Halberstadt), eines Hauptsteueramtes und des Stabes der 14. Infanteriebrigade. Südlich von Halberstadt liegen die Spiegelsberge, eine vom Domherrn v. Spiegel gebildete Parkanlage, und die Klugsberge, mit uralten menschlichen Wohnungen in den Sandsteinfelsen. – Zum Landgerichtsbezirk Halberstadt gehören die acht Amtsgerichte zu Aschersleben, Egeln, Gröningen, Halberstadt, Oschersleben, Osterwieck, Quedlinburg und Wernigerode. Vgl. Weihnachtsmarkt in Halberstadt.

Halberstadts Ursprung fällt mit der Gründung des Hochstifts Halberstadt zusammen. Unter dem Bischof Arnulf solle es 998 Stadtrechte erhalten haben. 1113 ward die Stadt vom Kaiser Heinrich V. niedergebrannt, ebenso von Heinrich dem Löwen 1179. Im Dreißigjährigen Kriege war sie abwechselnd im Besitz der Kaiserlichen und der Schweden; von letzteren kam sie 1648 an Brandenburg. Durch Gleim, der als Domsekretär in Halberstadt lebte, erhielt Halberstadt auch eine Bedeutung für die Literatur. Namhafte Dichter, wie Lichtwer, Klamer-Schmidt u. a., wohnten in Halberstadt, und man spricht von einer Halberstädter Dichterschule. 1807–13 gehörte Halberstadt zum Königreich Westphalen. Am 29. Juli 1809 wurde hier vom Herzog Friedrich Wilhelm von Braunschweig das 5. Westphälische Infanterieregiment gefangen genommen. Vgl. Schmidt, Urkundenbuch der Stadt Halberstadt (Halle 1878–79, 2 Bde.) und Urkundenbuch der Kollegiatstifter St. Bonifatii und St. Pauli in Halberstadt (das. 1881); Zschiesche, Halberstadt sonst und jetzt (Halberst 1882); Hermes, der Dom zu Halberstadt (das. 1890); Döring, Bau- und Kunstdenkmäler der Kreise Halberstadt Stadt und Land (Halle 1902).

Quelle: Meyers Großes Konversations-Lexikon, 6. Auflage 1905–1909

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