Herzogin Luise Dorothea von Sachsen-Gotha und Altenburg

Orangeriegarten in Gotha.

Luise Dorothea, Herzogin von Sachsen-Gotha und Altenburg, war neben vier Söhnen die einzige Tochter des Herzogs Ernst Ludwig I. von Sachsen-Meiningen und dessen erster Gemahlin und Cousine Dorothea Maria einer Tochter Herzogs Friedrichs I. von Sachsen-Gotha. Geboren am 10. August 1710 zu Coburg, das damals zu Sachsen-Meiningen gehört und bisweilen vom Hofe besucht wird, verliert sie ihre Mutter schon im dritten Lebensjahr, worauf sich ihr Vater 1714 mit Elisabeth Charlotte, einer Tochter des Großen Kurfürsten, in zweiter Ehe vermählt. Ihre erste Jungend verlebt Luise Dorothea in Coburg und Meiningen und zeichnet sich früh schon durch Lebhaftigkeit des Geistes, heitere Laune und unschuldige Necklust aus.

Seit dem zehnten Altersjahr steht sie unter der besonderen Aufsicht ihrer Stiefmutter und folgt dieser, welche nun die Erziehung der Prinzessin ganz in ihre Hände nimmt, nach dem Tode des Vater (24. November 1724) nach dem Wittwensitz Coburg, wo sie ihre Tage in fast ländlicher Abgeschiedenheit verbringt und sogar mit ihren nächsten fürstlichen Verwandten nur selten in Verkehr tritt, weil die Herzogin, eine zwar gebildete, aber auf ihre Abkunft stolze und dem reformierten Glauben eifrig ergeben Dame, mit ihren lutherischen Verwandten ernestinischer Linie wenig lebhafte Beziehungen unterhält. Um so ungestörter kann sich Luise Dorothea ihrer geistigen Ausbildung widmen, und dabei bleibt ihr Sinn, fern vom Geräusche der großen Welt, rein und edleren Genüssen zugewandt. Und wenn sie bisher noch eine gleichgestimmte Freundin vermisst hat, so findet sie eine solche nun auch in der neuen Hofdame ihrer Stiefmutter, der liebenswürdigen und hochgebildeten Juliane Franziska v. Neuenstein, die, einem elsässischen Geschlecht entsprossen, aber in Paris geboren, mit den besten Erscheinungen der neuen französischen Literatur vertraut ist. An sie schließt sich die Prinzessin mit jugendlicher Lebhaftigkeit an und gewinnt im Umgang mit ihr ein teilnehmendes Verständnis für die schönen Wissenschaften und ihre Vertreter.

Am 13. September 1729 vermählt sie sich mit ihrem Vetter, dem damaligen Erbprinzen von Sachsen-Gotha, welcher drei Jahre später als Friedrich III. seinem Vater in der Regierung folgt. Erst nach beinahe sechs Jahren gehen aus dieser Ehe Kinder hervor. Der 1735 geborene hoffnungsvolle Erbprinz Friedrich stirbt bereit im 21. Lebensjahr an Fieber und Gicht; Ernst Ludwig wird nach seines Vaters Tod (1772) als Ernst II. (s. d.) regierender Herzog; August (s. d.) ist später als Gönner und Freund Wieland’s, Herder’s und Goethe’s bekannt geworden; Friederike Louise überlebt ihre Eltern nur kurze Zeit (gest. 1776). Die Erziehung der Kinder überwacht Luise Dorothea mit mütterlicher Sorgfalt; ihre Lehren und ihr Beispiel wecken in ihnen einen offenen Sinn für alles Edle und Gute und eine lebhafte Teilnahme an den Werken der Kunst und Literatur. Um auf ihr Herz bildend einzuwirken, schreibt sie lehrreiche Charakterschilderungen und eine Anzahl Lebensregeln für sie nieder und sucht ihnen dadurch die Pflichten der Gottesfurcht, des Gehorsams, der Bescheidenheit, der Wohltätigkeit einzuprägen.

Ihrem Gemahle, einem wohlwollenden, aber an geistiger Begabung ihr nicht gleichkommenden Fürsten, steht sie als kluge Beraterin zur Seite. Sie nimmt sogar an den Sitzungen des geheimen Rates teil und weiß hier durch ihren Einfluss manches Gute zu fördern. Obwohl eine fleißige Kirchengängerin, tritt sie doch öfters dem einseitigen Walten des mächtigen orthodoxen Oberkonsist.-Rates Cyprian (s. d.) entgegen, wofür sich dieser freilich auf der Kanzel und im Beichtstuhle durch beißende Bemerkungen an ihr rächt. So setzt sie es gegen seinen Willen durch, dass der Graf Ludwig von Zinzendorf am 25. Juni 1740 eine Synode der Herrnhuter in Gotha abhalten darf; so erwirkt sie ferner im Jahre 1745 die Erlaubnis zur Gründung der Herrnhuterkolonie Neudietendorf.

Zum Glück ihres Lebens trägt nicht wenig bei, dass 1735 Franziska v. Neuenstein als Hofdame in ihre Dienste tritt. Vier Jahre später mit dem Oberhofmeister Schack Hermann v. Buchwald vermählt und unter diesem Namen als geschmackvolle Kennerin der französischen und deutschen Literatur bekannt (s. d.), bleibt sie fortan 32 Jahre lang der Herzogin in guten und trüben Tagen nahe, und nur der Tod der ersteren vermag diesen seltenen Bund der Freundschaft zu lösen. In der Unterhaltung mit ihr und anderen gebildeten Persönlichkeiten des Hofes, unter denen besonders der Oberconsistorialrath Klüpfel (s. d.) hervorragt, findet Luise Dorothea Anregung und Genuss. Daneben liest sie die neuesten Werke der französischen Schriftsteller, veranstaltet mit ihrer Freundin dramatische Aufführungen französischer Stücke und verwendet einen Teil des Tages auf eine ausgebreitete Korrespondenz mit Gelehrten und Dichtern.

Ebenso wenig bleibt ihr aber auch die strengere Wissenschaft fremd. So studiert sie die Wolf’sche Philosophie, welche ihr durch Gottsched’s „Erste Gründe der Weltweisheit“ übermittelt wird. Unter den Franzosen, mit denen sie in brieflichem Verkehr steht, ist vor Allem Voltaire zu nennen. Der Briefwechsel mit demselben beginnt zu Anfang 1752 und dauert ohne Unterbrechung bis etwa acht Wochen vor ihrem Tode fort. Er hat die Herzogin 1753 bei einem Besuch in Gotha kennen gelernt. Nachdem er Berlin am 26. März hat verlassen müssen, trifft er um den 20. April daselbst ein und setzt seine Reise erst nach vier Wochen fort. Er ist entzückt von der Aufnahme, die man ihm bereitet, und gedenkt nachher immer gern der auf dem Friedenstein verlebten Tage, so dass er seine Gönnerin nicht nur in seinen Briefen als „deutsche Minerva“, ihren Hof als „la cour enchanteresse“ und ihr Schloss als „le palais enchanté“ feierte, sondern ihr auch mehrfach in überschwänglichen Versen huldigt.

Einer Aufgabe, welche ihm die Fürstin zuteilt, der Abfassung einer deutschen Reichsgeschichte, unterzieht er sich anfangs mit freudiger Zuversicht und beginnt bereits in Gotha damit; aber im Verlaufe der Arbeit erlahmt sein Eifer, und nur langsam rückt dieselbe vor. Als das Werk, die „Annales de l’Empire“, nach längerer Zeit endlich vollendet ist, sieht man die Erwartung, durch Voltaire „einen deutschen Henault“ zu erhalten, in keiner Weise befriedigt. Auch mit Formey in Berlin, mit Diderot, d’Alembert, Rousseau, Helvetius und La Beaumelle unterhält sie einen Briefwechsel, und gleich Voltaire verweilen die beiden Letzteren eine Zeit lang am gothaischen Hofe. Der Baron v. Grimm (s. d.) sendet zuerst an sie alleine seine bekannten, später als „Correspondance littéraire“ gedruckten Berichte über das Neueste der Literatur und Kunst in Paris, und erst danach werden diese auch verschiedenen anderen deutschen Fürsten und der Kaiserin Katharina von Russland mitgeteilt.

In anregender Unterhaltung dient ihr auch der 1739 auf ihre Veranlassung vom Herzog gestiftete sogenannte Einsiedler- oder Eremitenorden (Ordre des Hermites de bonne humeur). Entsprechend der Devise „Vive la joie!“ sollen in demselben nur Frohsinn und Heiterkeit walten und die Mitglieder ohne jedes Zeremoniell untereinander verkehren. Die Ordenstracht ist ein Kleid von braunem Taffet, ein Strohut mit Rosaband und ein rosenfarbiger Gürtel, das Ordenszeichen ein grünes Oval von Email an einem weißen, grün eingefassten Band. Die Unterhaltung wird in französischer Sprache geführt und jedes Mitglied mit einem besonderen Namen belegt. Herzog und Herzogin sind Prior und Priorin; Prinz Ernst heißt „l’Espiègle“, Frau v. Buchwald „Brillante“, ihre Schwester „Florissante“, Graf Gotter „Tourbillon“ etc. Die Versammlungen finden gewöhnlich auf dem Lustschlosse Friedrichswerth statt und dauern fort, bis ihnen der Siebenjährige Krieg ein Ende bereitet.

Mit diesem beginnt eine schwere Zeit für das gothaische Land. Franzosen, Reichstruppen und Österreicher suchen es mit Plünderungen und Kontributioneb heim, und selbst das Schloss bleibt von Übergriffen nicht verschont. Das fürstliche Paar hält in dieser Bedrängnis auf dem Friedenstein wacker aus, und die Herzogin empfängt auch ungebetene Gäste, wie den Prinzen von Soubise und seine Offiziere, höflich und zuvorkommend. Auch diese Franzosen fühlen sich durch den feinen Anstand und das geistreiche Gespräch Luise Dorotheas bezaubert, so dass sie, wie das Tagebuch eines gleichzeitigen Gothaers sagt, „nicht in Deutschland, sondern mitten in Paris zu sein glaubten“. Größere Freude als die genannten Gäste bereitet ihr der Besuch Friedrichs des Großen in Gotha. Schon als er noch Kronprinz war, hat Franziska v. Buchwald, die ihn von Berlin und Coburg her persönlich kannte, öfters voll Begeisterung von ihm gesprochen. Auch er schätzt beide Frauen und hat die Herzogin bereits im Jahre 1743 durch den Grafen Gotter zu einem Besuch in Berlin einladen lassen. Trotzdem war es bisher zu keiner persönlichen Begegnung gekommen. Jetzt aber, am 15. September 1757, wenige Wochen vor der Schlacht bei Roßbach, erscheint der König, von Husaren und Dragonern begleitet, vor denen sich die Franzosen und Reichstruppen nach Eisenach zurückziehen, zu einem ersten kurzen Besuch auf dem Friedenstein, wo ihn der Herzog und die Herzogin im Schlosshof empfangen. Drei Tage nachher macht auch des Königs Bruder, Prinz Heinrich, dem gothaischen Hofe seine Aufwartung.

Friedrich der Große wiederholt seinen Besuch in Gesellschaft seines Bruders am 3. Dezember 1762, als bereits Friedensunterhandlungen angeknüpft sind, und findet sich diesmal gegen seine sonstige Gewohnheit und zur höchsten Überraschung seiner Umgebung in Schuhen und seidenen Strümpfen zum Mahle ein. Er führt die Herzogin unter den für ihn bestimmten Baldachin, nimmt neben ihr Platz und ist bei der Tafel und nachher im Zimmer ungewöhnlich heiter und aufgeräumt. „Ich sterbe vor Vergnügen!“ sagt er zu Frau v. Buchwald und gibt am folgenden Morgen noch einen Beweis dieser befriedigten Stimmung, indem er vor seiner Abreis auf der Flöte bläst. Seitdem setzt er den bereits 1756 begonnenen Briefwechsel mit seiner fürstlichen Freundin eifriger fort, und erst wenige Monate vor dem Tode der Letzteren bricht derselbe ab.

Mit dem lebhaften Geiste Louise Dorotheas ist ein etwas schwächlicher Körper verbunden. Im September des Jahres 1767 fühlt sie sich so leidend, dass ihr Leibarzt Sulzer seinen Breslauer Kollegen Tralles zur ärztlichen Beratung nach Gotha beruft. Mit diesem unterhält sie sich im Angesicht des nahen Todes über die Richtigkeit und Wahrheit der christlichen Religion, über die Vorzüge der christlichen Moral vor der philosphischen, über die Unsterblichkeit der Seele etc. Auch Tralles’ Kunst reicht nicht aus ihr Leben noch länger zu fristen: am 22. Oktober 1767 stirbt sie an Tuberkulose. Ihre Freundin, die Oberhofmeisterin v. Buchwald, folgt ihr erst nach 22 Jahren im Tode nach. Nur von dieser gilt, was Beck (Geschichte des gothaischen Landes I, S. 386) beiden Freundinnen zuschreibt, dass sie nämlich „mit der gespannten Aufmerksamkeit der großartigen Entwicklung der deutschen Literatur gefolgt seinen“; denn die Herzogin schenkt der letzteren keine oder doch nur sehr geringe Beachtung. Was sie davon erfährt, geschieht durch Gottsched und das von demselben herausgegebene „Neueste aus der anmutigen Gelehrsamkeit“. Albrecht v. Haller kann ihr schon um Gottsched’s willen nicht zusagen, und über Klopstock äußert sie einst gegen Helvetius: „Man behauptet, dass dieser Klopstock ein großer Dichter sei; ich weiß es nicht, aber so viel weiß ich, dass ich ihn nicht verstehe.“ Doch lässt sie sich’s gefallen, dass ein einheimischer, jetzt gänzlich verschollener Dichter, Christoph Eusebius Suppius, sie in einem größeren Gedichte „Der Inselsberg“ und in gereimten Oden besingt. Dass sie bei längerem Leben auch den Werken Goethes und Schillers gegenüber teilnahmlos geblieben wäre, ist nicht wahrscheinlich, da ja die ebenfalls französisch gebildete Franziska v. Buchwald diese Heroen unserer Literatur nach Verdient zu würdigen verstanden hat.

Quelle: Albert Schumann, Allgemeine deutsche Biographie, Bd. 19 (Leipzig 1884)

Bibliographie

  • Bechstein, Ludwig: Mitteilungen aus dem Leben der Herzoge von Sachsen-Meiningen (Halle 1856)
  • Beck, August: Graf Gustav Adolf v. Gotter (Gotha 1867)
  • Beck, August: Geschichte d. gothaischen Landes, Bd. 1 (Gotha 1868)
  • Danzel, Th. W.: Gottsched u. seine Zeit (Leipzig 1848)
  • Formey, J. H. Sam.: Souvenirs d’un citoyen. Tome II. (Berlin 1789)
  • Gotter, Fr. W.: Zum Andenken der Frau v. Buchwald (Gotha 1790)
  • Jakobs, Fr.: Vermischte Schriften. 1. Teil (Gotha 1823)
  • Meyers Großes Konversations-Lexikon, 6. Auflage 1905–1909
  • Möller, J. H.: Gotha Herzogtum und Stadt in den Jahren 1756–1764 (Gotha 1854)
  • Reichard, H. A. D.: Seine Selbstbiographie überarbeitet u. hrsg. von Herm. Uhde (Stuttg. 1877)
  • Schumann, Albert: Allgemeine deutsche Biographie, Bd. 19 (Leipzig 1884)
  • Storch, Ludwig: Eine seltene Frauenfreundschaft – in: Die Gartenlaube, Jahrg. 1858, Nr. 41 u. Nr. 42
  • Thümmel, Hans v.: Beiträge zur Kenntnis d. Herzogtums Altenburg (Altenburg 1818)
  • Tralles: Balth. Ludwig: Erzählung seiner mit König Friedrich dem Großen, der großen Kaiserin Maria Theresia u. der Durchl. Herzogin v. Sachsen-Gotha Luise Dorothea gehaltenen Unterredungen (Breslau 1789)
  • Voltaire à Ferney. Sa correspondance avec la duchesse de Saxe-Gotha, suivie d’autres lettres et de notes ..., recueillies et publiées per MM. Evariste Bavoux et A. F. (2. éd. Paris 1865)
  • »Oeuvres de Frédéric le Grand«; Tome XVIII (Berlin 1851)

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