Barcelona
Hauptstadt der gleichnamigen spanischen Provinz, liegt amphitheatralisch an einer tief eingeschnittenen Bucht des Mittelmeeres, unweit der Mündung des Llobregat, in einer fruchtbaren Ebene.
Barcelona besteht aus der eigentlichen oder Altstadt, die bis 1868 von einem Festungswall, seitdem aber von einer Ringstraße (Ronda) eingeschlossen ist, der Neustadt, westlich und nördlich von der Ringstraße, und der Hafenvorstadt Barceloneta im Südosten, auf einer Landzunge im 18. Jahrhunderts erbaut, dem Matrosen- und Arbeiterviertel. Die 1200 m lange, 33–45 m breite Rambla, eine Platanenallee mit beiderseitigen Fahrwegen und großen Hotels, Cafés, Theatern und Magazinen, durchschneidet die Altstadt in nordwestlicher Richtung, mündet südöstlich auf die Plaza de la Paz, auf der sich das 1888 enthüllte Denkmal des Kolumbus erhebt, und endet nordwestlich an der Plaza de Cataluña. Längs des Hafens führt ein breiter Kai, Paseo de Colón, gegen Norden, wo er in den Paseo de Isabel II. und die Plaza del Palacio, mit monumentaler Marmorfontäne, ausläuft. Im übrigen enthält die Altstadt meist düstere, enge Straßen, wird aber durch Niederreißung ganzer Häuserkomplexe ein freundlicheres Ansehen erhalten.
Die Neustadt erweitert sich außerordentlich rasch, ist aber mit ihren regelmäßigen Straßen einförmig. Die Hauptstraßen bilden der von Alleen eingefasste, 1200 m lange Paseo de Gracia, der von der Plaza de Cataluña nach dem früheren Vorort Gracia führt, die Rambla de Cataluña (Fortsetzung der Rambla), die Calle de las Cortes mit dem Tetuanplatz, die vom Hafen zum Vorort Hostafranchs führende Calle del Marques del Duero, der im Nordosten der Altstadt gelegene Paseo de San Juan, der weiter südlich als breite Allee (Salon de San Juán) in den prächtigen, 31 Hektar großen Stadtpark, der an Stelle der ehemaligen, von Philipp V. erbauten Zitadelle angelegt worden ist, mündet. Unter den 84 Kirchen von Barcelona sind hervorzuheben: die 1298–1448 erbaute gotische Kathedrale, aus einem dreischiffigen Langhaus, einem Querschiff und der Capilla Mayor bestehend, mit dem Grabmal der heil. Eulalia, der Schutzheiligen von Barcelona, schönem Kreuzgang und zwei unvollendeten Türmen; die ebenfalls gotische Kirche Santa Maria del Mar (1329–84 erbaut); die archäologisch interessante Benediktinerkirche San Pablo del Campo (aus dem 10. Jahrhundert); San Pedro de las Puellas (945); die Kollegiatkirche Santa Ana; Santa Maria del Pino (1453 eingeweiht), die 1882 begonnene, ursprünglich im neukatalanischen Stil von Antoni Gaudí entworfene Basilika der Heiligen Familie (Sagrada Família), u. a.
Unter den weltlichen Gebäuden zeichnen sich aus: der Palast der aragonischen Könige (aus dem 13. Jahrhundert), mit einem Anbau aus der Zeit Karls V., er enthält eine archäologische Sammlung und das berühmte Archiv der Krone von Aragonien; der Palast des Generalkapitäns; der bischöfliche Palast; das Gebäude des Provinziallandtags und des Landgerichts (audiencia); der alte Palast des Hauses Alba; das Stadthaus (1369–79 erbaut); das Zollhaus; das Teatro del Liceo, das größte, 4000 Zuschauer fassende Theater Spaniens; die Börse (Lonja) an der Plaza del Palacio, mit Säulenfassade; das Universitätsgebäude (1863–1873 erbaut), mit weiter Halle in maurischem Stil; das Aquarium; der neue Justizpalast; mehrere Markthallen und Schlachthäuser; von den Gebäuden der Weltausstellung (1888) im Stadtpark sind der große Industriepalast mit permanenter Ausstellung, der Palast für schöne Künste und der für wissenschaftliche Sammlungen erhalten geblieben; außerdem hier der königliche Palast (früher Arsenalpavillon) und eine eiserne Brücke nach dem Meeresstrand; der Triumphbogen am Eingang des Salon de San Juán u. a. Nach Eingemeindung der Vororte (Gracia, San Martin de Provensals, Sans, San Andres de Palomar, San Gervasio de Casolas, Las Corts de Sarriá) zählt Barcelona (1900) 533.000 Einwohner, ohne diese (1897) 333.908 Seelen; Barcelona hatte 1877: 249.106, 1887: 272.481 Einwohner.
Die Haupterwerbszweige sind Industrie und Handel. Die wichtigsten Fabrikationszweige, Baumwollspinnerei, -Weberei und -Druckerei, machten nach dem spanisch-amerikanischen Krieg eine schwere Krisis durch. Barcelona zählt einschließlich der Umgebung ca. 1,5 Mill. Spindeln und 48.000 Webstühle. Andere Industriezweige sind: Seidenweberei, Erzeugung von Tuch, Schals und Möbelstoffen, Leinenwaren, Spitzen, Wäsche, Wirk- und Weißwaren, Maschinenfabrikation und Eisengießerei, Verfertigung von Waffen, Glas, Tonwaren, Leder, Korkstöpseln, Schokolade und besonders Schuhwaren und Kleidern; endlich Schiffswerften und Kanonengießerei.
Der Hafen von Barcelona, nach der ursprünglichen Anlage (1474) ganz offen, wurde erst seit 1880 durch Kunstbauten zu einem modernen Seehafen umgewandelt und ist jetzt durch zwei große Molen, einen östlichen, 1270 m langen Molo, der die Fortsetzung der Landzunge von Barceloneta bildet, und einen westlichen, vom Fuße des Forts Montjuïc (Montjuich) auslaufenden, 648 m langen Molo, geschlossen. Beide Dämme tragen an ihren Endpunkten Leuchttürme. Das so gebildete Hafenbassin wird durch zwei innere Molen in den Vorhafen und den inneren Hafen geteilt, wovon der erstere 61, der letztere 63 Hektar Fläche einnimmt. Die Tiefe beträgt 8–15 m. 1900 liefen in Barcelona 3804 Schiffe von 2.437.934 Ton. ein und 3916 Schiffe von 2.957.286 T. aus. Der Warenverkehr zu Lande und zur See (einschließlich der Küstenschiffahrt) betrug in der Einfuhr 1899: 1.445.795 T. im Wert von 451,7 Mill. Pesetas, in der Ausfuhr 360.673 T. im Wert von 432,7 Mill. Pesetas; davon entfielen auf den Außenhandel 399,9 Mill., bzw. 136,6 Mill. Pesetas. Die wichtigsten Ausfuhrartikel sind: Baumwollen-, Schafwollen- und gemischte Gewebe, Wein, Schuhwaren, Seife, Papier und Druckschriften; eingeführt werden: Rohbaumwolle, Schafwolle, Chemikalien und Farbstoffe, Kohle, Holz und Binderwaren, Felle und Häute, Maschinen, Kaffee, Kakao und Stockfisch. Eisenbahnlinien sind: über Port Bou nach Frankreich, über Lerida und Saragossa nach Madrid und drei längs der Küste. Ein unterseeisches Telegraphenkabel verbindet Barcelona mit Marseille.
Das Straßenbahnwesen (meistens mit elektrischem Betrieb) ist sehr entwickelt (1902: 53,6 km). Barcelona besitzt eine Handelskammer, eine für den auswärtigen Handel wichtige alte Institution (Junta del comercio), eine Börse, eine Sukkursale der Nationalbank und mehrere andere Bank- und Kreditinstitute, einige Seeassekuranzgesellschaften und viele auswärtige Konsulate (darunter auch ein deutsches Generalkonsulat). An Wohltätigkeitsanstalten hat Barcelona 8 Hospitäler, darunter das allgemeine Hospital für 3000 Kranke, mehrere Waisenhäuser und Asyle, 4 Irrenanstalten, gute Kliniken, eine Entbindungsanstalt, ein Findelhaus u. a.
Nächst Madrid hat Barcelona die meisten wissenschaftlichen Anstalten. Es besitzt eine Universität mit fünf Fakultäten (1430 gestiftet, 2000 Studierende), einer Bibliothek von 160.000 Bänden und einem botanischen Garten, eine Kunstschule, eine Handelsschule, eine Industrie- und eine Schifffahrtsschule, eine Real- und eine lateinische Schule, ein Priester- und ein Lehrerseminar, zahlreiche Volksschulen, vier Akademien (für Naturwissenschaften und Künste), acht Museen, darunter ein archäologisches, ein naturhistorisches und zwei Privatmuseen (Estruch und Martorell), 9 öffentliche Bibliotheken, 6 Archive, darunter das der Krone von Aragonien (mit 3¾ Mill. Urkunden) und das städtische mit den Gemeindeakten seit 1380, ferner 14 Theater, einen Zirkus für Hahnenkämpfe, eine Arena für Stiergefechte (14.500 Personen fassend), einen Pferderennplatz, 2 Ballspielhäuser u. a. m. Barcelona ist der Sitz eines Generalkapitäns, eines Gouverneurs, eines Appellationsgerichts, eines Handelsgerichts und Seekonsulats. Zur Verteidigung der Stadt dient außer einer Batterie bei der Vorstadt Barceloneta das Fort Montjuïc im Südwesten auf der Kuppe eines 191 m hohen, schroffen, einen herrlichen Ausblick gewährenden Berges (im Altertum Mons Jovis, später Mons Judaicus, woraus der jetzige Name entstanden ist). Das Fort kann eine Garnison von 10.000 Mann aufnehmen. Das einst befestigte Arsenal Atarazanas ist in eine Artilleriekaserne verwandelt worden. Eine Wasserleitung versorgt Barcelona aus den Bergen mit gutem Trinkwasser. Schöne Punkte in der Umgebung von Barcelona sind San Cugat del Vallés mit interessanter romanischer Klosterkirche und der 532 m hohe Berg Tididabo, auf den eine Zahnradbahn führt, mit herrlicher Aussicht auf die Ebene von Barcelona und das Meer.
Geschichte
Barcelona, im Altertum Barcino, angeblich von Hamilkar Barkas gegründet, war Hauptstadt der Lacetaner im tarraconensischen Spanien, dann römische Kolonie (Faventia). Die jetzige Stadt steht, da das Meer zurückgewichen ist, z. T. auf neuem Grund. 410 eroberte der Westgote Alarich I. Rom. Sein Stiefbruder und Nachfolger Athaulf führte die westgotischen Truppen nach Südgallien, unterlag aber 414 bei Narbona (Narbonne im Département Aude) den Römern und musste über die Pyrenäen in die Provinz Tarragona fliehen. Athaulf, König der Goten, errichtete seinen Sitz in Barcino, wo er 415 von seinen eigenen Soldaten erschlagen wurde und begraben liegt. 713 wurde Barcelona von den Mauren unter Musa erobert, 803 aber von Ludwig, dem Sohne Karls d. Gr., wieder genommen und zur Hauptstadt der spanischen Mark gemacht, zwar 852 von den Arabern aufs neue erobert, aber schon im 10. Jahrhundert wieder von selbständigen Markgrafen regiert. In Barcelona wurden in den Jahren 540, 599, 906 und 1064 Kirchenversammlungen gehalten.
1137 wurde Barcelona infolge der Vermählung des Grafen Raimund Berengar IV. mit Petronella, der Tochter des Königs Ramiro, mit Aragonien vereinigt. Im 13. und 14. Jahrhundert ward Barcelona eine der lebhaftesten Handelsstädte Europas, zumal nach dem Orient hin, und seine Seegesetzgebung wurde maßgebend für das damalige europäische Seerecht. Beim Aufstand der Katalonier im Jahre 1640 unterwarf sich Barcelona den Franzosen, wurde aber 1652 zurückerobert. Im Spanischen Erbfolgekrieg auf seiten des habsburgischen Prätendenten Karl, wurde es 1714 von dem Herzog von Berwick belagert. Nachdem 1809 die Franzosen die Stadt mit List in ihre Gewalt bekommen hatten, bildete Barcelona bis Anfang 1814 den Stützpunkt der französischen Armee in Katalonien. Nach dem karlistischen Aufstand der Agraviados traf Barcelona wie ganz Katalonien 1827 bis November 1832 die Strenge des Generalkapitäns Grafen de España. Der Bürgerkrieg der folgenden Zeit machte auch Barcelona zum Schauplatz häufiger Volksaufstände. Seitdem ist Barcelona einesteils der Mittelpunkt der Bewegung, die auf eine freiere Stellung der Provinzen zum Gesamtreich abzielen (Regionalismus), anderseits die Hochburg des Sozialismus und Anarchismus in Spanien.
Quelle: Meyers Großes Konversations-Lexikon, 6. Auflage 1905–1909