Wittenberg

Wittenberg, 1517.

Wittenberg, Kreisstadt im ehemaligen preußischen Regierungsbezirk Merseburg, jetzt Sachsen-Anhalt, an der Elbe, Knotenpunkt der Bahnlinien Berlin–Weißenfels und Falkenberg–Roßlau, 72 m ü. M., bis 1873 Festung, hat drei Vorstädte, zwei evangelische Kirchen (die Stadtkirche mit dem berühmten Lukas Cranachschen Gemälde: Abendmahl, Taufe und Beichte, und die 1490–99 von Friedrich dem Weisen erbaute, 1892 renovierte Schloß- oder Universitätskirche, an der Luther 31. Okt. 1517 seine 95 Sätze anschlug, die seit 1858 auf Metalltüren in Bronze eingegraben sind, mit zwei Bronzewerken Peter Vischers, den Grabstätten Luthers, Melanchthons, Friedrichs des Weisen und Johanns des Beständigen) und eine katholische Kirche.

Von anderen Gebäuden sind bemerkenswert: das Rathaus; das frühere Augustinerkloster mit der Zelle Luthers; das sogen. Lutherhaus mit der 1883 eingeweihten Lutherhalle (mit einer Sammlung wertvoller Erinnerungszeichen an Luther und andere Reformatoren und Cranachs bildlicher Darstellung der Zehn Gebote); die durch Gedenktafeln bezeichneten früheren Wohnhäuser Melanchthons und Lukas Cranachs, letzteres später Apotheke. Auf dem Markt steht das Standbild Luthers (von Schadow, seit 1822) und daneben das Melanchthons (von Drake, seit 1866). Außerdem hat die Stadt Denkmäler des Kaisers Friedrich III. und des Reformators Bugenhagen. Die ehemaligen Festungswerke sind abgetragen und in Anlagen umgewandelt. Vor dem Elstertor ist die Stelle, auf der Luther 10. Dez. 1520 die päpstliche Bulle verbrannte, durch eine Eiche bezeichnet. Die Zahl der Einwohner beläuft sich (1905) mit der Garnison (ein Infanterieregiment Nr. 20 und eine reitende Abteilung Feldartillerie Nr. 74) auf 20.332 Seelen, davon 860 Katholiken und 70 Juden. Die Industrie beschränkt sich (1905) auf Eisengießerei, Maschinen-, Tonwaren-, Seifenpulver-, Sprit- und Malzfabrikation, Fabrikation ätherischer Öle, Ziegelbrennerei. Dampfmüllerei, Bierbrauerei, Gemüsebau und Blumenzucht, besonders sehr bedeutende Anzucht von Maiblumenkeimen.

Dem Verkehr dient ein Hafen und eine Pferdebahn. Wittenberg hat (1905) ein Gymnasium, ein Predigerseminar, ein Knabenrettungshaus und ein Lehrlingsheim und ist Sitz eines Amtsgerichts, eines Hauptsteueramts und einer Reichsbanknebenstelle.

Wittenberg, zuerst 1180 erwähnt, wurde unter Albrecht I. Residenz der Herzoge von Sachsen und blieb es für die Linie Sachsen-Wittenberg; 1423 kam es mit Kursachsen an das Haus Wettin. Die 1502 von Friedrich dem Weisen errichtete, rasch aufblühende Universität ward seit Luthers Auftreten für lange Zeit der Hauptsitz der Reformationsbewegung und nach Luthers Tod gegenüber dem orthodoxen Jena unter Melanchthons Einfluss Vertreterin jener milderen Auffassung, die in der Abendmahlslehre schon in der Wittenberger Konkordienformel vom Mai 1536 zutage getreten war. In der Wittenberger Kapitulation (18. Mai 1547) trat Kurfürst Johann Friedrich sein Land nebst der Kurwürde an Herzog Moritz ab, und seitdem verlor Wittenberg an Bedeutung.

Im Siebenjährigen Krieg wurde Wittenberg von den Preußen besetzt, im Oktober 1760 durch die Österreicher und die Reichsarmee bombardiert und kapitulierte. 1806 besetzten die Franzosen Wittenberg; die noch vorhandenen Werke wurden in Verteidigungszustand gesetzt. Nach der Schlacht bei Dennewitz vom Bülowschen Korps eingeschlossen, wurde Wittenberg seit 28. Dez. 1813 durch Tauentzien, der den Ehrennamen von Wittenberg erhielt, belagert und 13. Jan. 1814 erstürmt. Die Universität wurde 12. April 1815 mit der in Halle vereinigt und dorthin verlegt. 1873 ging die Festung ein.

Bibliographie

  • Gurlitt: Die Lutherstadt Wittenberg (in Muthers Sammelwerk »Die Kunst«, Berl. 1902)
  • Kalkoff: Ablaß und Reliquienverehrung an der Schloßkirche zu Wittenberg (Gotha 1906)
  • Löwenstern, W. Baron v.: Luther und dessen Reformation (Stuttg. 1830)
  • Meynert: Geschichte der Stadt Wittenberg (Dess. 1845)
  • Schadow: Wittenbergs Denkmäler der Bildnerei, Baukunst und Malerei (Wittenb. 1825)
  • Schild: Denkwürdigkeiten Wittenbergs (3. Aufl., Wittenb. 1892)
  • Schmidt, K.: Wittenberg unter Kurfürst Friedrich dem Weisen (Erlang. 1877)
  • Witte, L.: Die Erneuerung der Schloßkirche zu Wittenberg (Wittenb. 1893)
  • »Album academiae Vitebergensis 1502–1600« (Halle 1905-06, Bd. 1–3)

Quelle: Meyers Großes Konversations-Lexikon, 6. Auflage 1905–1909

Festung und Festungsgeschichte