Max Josef Graf von Montgelas
bayerischer Staatsmann, 1799–1817

Max Josef Graf von Montgelas, bayerischer Staatsmann, geb. den 10. September 1759 zu München, entstammte einem alten savoyischen Geschlecht. Ein Petrus de Monte gelato wird 1355 als Gesandter des Grafen Amadeo von Savoyen genannt. Im 16. Jahrhundert war die Herrschaft Montgelas in der Nähe von Chambery in Besitz des François Garnerin Seigneur de la Thuille, Staatsrats- und Senatspräsidenten zu Chambery. Sein Urenkel Johann Sigmund Garnerin Freiherr von Montgelas ließ sich in Bayern nieder, wurde in Diensten Max Josefs III. Generalmajor und Oberstsilberkämmerer, vermählte sich mit Ursula Gräfin von Trauner, in zweiter Ehe mit Augusta von Schönberg und starb 1767 zu München.

Der erstgeborene Sohn aus erster Ehe, Max Josef, studierte, wie er in einem selbstverfassten Curriculum vitae erzählt, inferiora teils zu Nancy, teils zu Straßburg, Philosophie und Jura in der letztgenannten Stadt, besuchte 1776 die hohe Schule zu Ingolstadt und legte im nächsten Jahre eine Proberelation „mit sonderbar ausnehmender Behändigkeit und Solidität“ ab. Unmittelbar darauf wurde er zum Mitglied des Hofrats, 1779 zum Bücherzensurrat ernannt. Schon damals erregte die scharfe Beobachtungs- und Auffassungsgabe des jungen Mannes Aufssehen, „wie denn auch ein seltener Einklang der Feinheit des Tones eines Hof- und Weltmannes mit vielseitigem und gründlichem Wissen bei ihm anzutreffen war“ (Freyberg). Kurfürst Karl Theodor soll ihm sehr gewogen gewesen sein, entzog ihm aber diese Gunst, als aufgedeckt wurde, dass Montgelas dem Illuminatenorden beigetreten war. Es wurde zwar von strengerer Bestrafung des jungen Mannes Abstand genommen, immerhin verlor er sein Amt und sah sich genötigt, das Land zu Verlassen. Man darf annehmen, dass dieser Moment für die spätere Entwicklung des Staatsmannes nicht ohne Bedeutung war; in der Zeit, da er fast mit unbeschränkter Gewalt in Bayern das Staatsruder lenkte, trat, zumal im Verfahren bei der Säkularisation, manches zu Tage, was nicht mehr den objektiven und besonnenen Verteidiger der Rechte des Staates kennzeichnet, sondern unwillkürlich an den ob der einst erlittenen Verfolgung grollenden Illuminaten erinnert.

Von Ordensfreunden empfohlen, suchte er eine Zuflucht am Hofe des Herzogs Karl August von Zweibrücken, wo er im Kabinett des Ministers von Hohenfels (s. d.) als Referent über staatsrechtliche Fragen verwendet wurde. Vermutlich in Folge einer Denunziation des eifersüchtigen Abts Salabert fiel er auch bei Herzog Karl August in Ungnade und verlor seinen Posten; er hatte aber die Gunst des jüngeren Bruders des Herzogs, Max Josef, gewonnen und diente nun diesem als Privatsekretär, bis der Tod Karl Augusts (1. April 1795) den Bruder zur Regierung des Herzogtums berief. Montgelas wurde nun in rascher Folge herzoglich Zweibrückenscher Legationsrat, Geheimrat, Minister der auswärtigen Angelegenheiten. Leider sind die drei ersten Teile des großen Memoirenwerkes, das Montgelas eigenhändig niederschrieb, verschollen, so dass wir ausführlichen Bericht nur über die Tätigkeit des bayerischen Ministers von 1799 bis 1817 besitzen, dagegen der Aufklärung über die früheren Lebensschicksale, sowie über die Wirksamkeit auf dem Gebiet der inneren Regierungspolitik entbehren müssen.

Nur in Kürze wird in der Einleitung, „um deutlicher hervortreten zu lassen, wie zur Zeit Ihres Regierungsantrittes" – die Memoiren scheinen ursprünglich zur Vorlage an König Max Josef bestimmt gewesen zu sein – „für Ihre Dynastie wie für Ihren Staat die Dinge gelagert waren“, auch auf die Jahre seit der Vereinigung Bayerns mit Kurpfalz, die Austauschprojekte Karl Theodors und die auswärtige Politik dieses Kurfürsten und der Herzoge von Zweibrücken eingegangen. Wie die Bildung, so ist der Ideenkreis des Verfassers der Memoiren spezifisch französisch, aber französisches Interesse vertritt er so wenig wie das deutsche; ihm gilt als erstes und oberstes Gesetz für den Beamten, in demjenigen Staat, dem er dient, völlig aufzugehen; er will nur anstreben, was zur Stärkung und Vergrößerung des seiner Leitung anvertrauten Landes beitragen kann. Deshalb bewundert er die „weise Zurückhaltung“ Karl Theodors im Verhalten gegen die französischen Revolutionäre und bedauert nur, dass damals nicht im rechten Augenblick eine Politik der Aktion eingeschlagen wurde; nicht bloß wären Mannheim und Heidelberg zu retten, sondern Mainz und Frankfurt mit leichter Mühe zu gewinnen gewesen.

Er findet es unbegreiflich, dass Karl August mit Frankreich nichts zu tun haben wollte, denn Frankreich erscheint ihm von dem Augenblick, da die „revolutionäre Narrheit“ der Danton und Robespierre aufhörte, als die eigentliche Schutzmacht der freien Souveränität der deutschen Fürsten. Er betrachtet eben alle solche Fragen lediglich unter dem Gesichtspunkt der Opportunität; deshalb beklagt er hinwieder das unvorsichtige und nur dem Vorteil Frankreichs Rechnung tragende Vorgehen Salaberts, wie die feige Übergabe von Mannheim durch den Grafen Oberndorff. Die Verhaftung Salaberts durch kaiserliche Truppen befreite Montgelas von einem Rivalen und seit auch Baron Cetto nach Paris gesendet worden war, wo er ohne amtliche Stellung bei dem Direktorium die herzoglichen Interessen vertreten sollte, konnte Montgelas – er selbst sagt: seit August 1796 – als der eigentliche Leiter der auswärtigen Angelegenheiten des Herzogtums angesehen werden. In dieser Stellung wohnte er dem Kongress von Rastatt (1798) bei; das nächste Jahr brachte ihm einen weiteren Wirkungskreis, der aber auch eine Reihe der schwierigsten Aufgaben in sich schloss.

Nach dem Tode Karl Theodors (16. Februar 1799) übernahm Max Josef die Regierung von Pfalz-Bayern, und schon am 21. Februar wurde Montgelas „in Anbetracht der vorzüglichen Kenntnisse und Geschicklichkeit, welche der Kammer- und Geheimrath Freiherr von Monjellaz durch mehrere Jahre in dem ihm anvertraut gewesenen Wirkungskreise erprobt“, zum wirklichen geh. Staats- und Konferenzminister ernannt. Auch in der neuen Stellung war ihm zunächst die Leitung der auswärtigen Geschäfte übertragen. Der Jubel, womit der Regierungswechsel in ganz Bayern begrüßt wurde, bewies sowohl, dass der Unwille über die egoistische Hauspolitik des verstorbenen Kurfürsten noch immer lebendig war, als dass man auf das Haus Zweibrücken, durch dessen Uneigennützigkeit und Energie die Integrität Bayerns gerettet worden war, festes Vertrauen setzte und mit Sicherheit den Anbruch besserer Zeiten erwartete. „Es war aber nicht leicht, diese Hoffnungen zu verwirklichen. Die Sachlage war zur Zeit düster genug. Man hätte Geld gebraucht und die Kassen waren leer; die Wünsche des Papstes verwickelten in große Schwierigkeiten: die bayerischen Truppen waren in Winterquartiere solchermaßen verteilt, dass sie unter die Österreicher förmlich aufgelöst, sozusagen ganz und gar in deren Gewalt gegeben waren. Es handelte sich darum, sich, ohne irgendwo Anstoß zu erregen, der drückendsten Verpflichtungen zu entledigen und dann ein politisches System aufzustellen, denn bisher war ein solches nicht vorhanden gewesen.“

Das neue System lässt sich in Kürze als Politik der freien Hand charakterisiren. Bayern sollte fortfahren, seinen Verpflichtungen gegen das Reich nachzukommen, aber auch nur den strikten Verpflichtungen, im Übrigen aber die Freundschaft Frankreichs und den Schutz Russlands und Preußens anstreben. Demgemäß blieb das bayerische Kontingent vorläufig mit den Österreichern verbunden, der Kurfürst und sein Ministerium flüchteten sich beim Herannahen der Franzosen nach Amberg, und nach der Niederlage des bayerisch-österreichischen Heeres bei Hohenlinden besetzte Moreau die Hauptstadt des Kurfürstentums.

In den Pasquillen, durch welche damals eine weit verzweigte revolutionäre Partei in Bayern Propaganda für republikanische Ideen zu machen suchte, wurde Montgelas aufs Heftigste angegriffen wegen seiner antifranzösischen Haltung, die sich – es handelt sich natürlich um Behauptungen ohne Beweiskraft – auf englische und russische Bestechung zurückführen lasse. Merkwürdigerweise führte, wie in den Memoiren enthüllt wird, gerade die Freundschaft mit Russland zu intimeren Beziehungen zu Frankreich. Die Aufhebung des Malteserordens hatte den Zorn des Kaisers Paul so sehr gereizt, dass er ein Schreiben voll leidenschaftlicher Drohungen an den kurfürstlichen Hof richtete. Nun erfolgte hier unter dem Einfluss des Herzogs Wilhelm ein Umschwung; der Herzog selbst ging nach Gartschina, und es wurde nicht bloß die Vermählung des Kurprinzen Ludwig mit der Großfürstin Katharina ins Auge gefasst, sondern auch ein Allianzvertrag abgeschlossen, durch welchen (1. October 1799) der Kurfürst sich verpflichtete, seine Truppen mit den russischen zu vereinigen, gegen Gewährleistung des pfalz-bayerischen Territorialbestandes, wie er durch den Teschener Frieden festgestellt worden war. Der Traktat von Gartschina bedeutete also offenen Bruch mit Frankreich. Bald darauf vollzog sich aber am russischen Hof ein Systemwechsel; Kaiser Paul schöpfte Argwohn, dass es seinen Verbündeten nicht so sehr um das Legitimitätsprinzip als um Ausdehnung ihrer Machtstellung zu tun sei, und wandelte sich aus dem heftigsten Gegner in einen schwärmerischen Verehrer Bonapartes.

Auf Wunsch des Zaren wurden von der bayerischen Regierung wieder Unterhandlungen in Paris angeknüpft, und gerade während die bayerischen Truppen noch bei Hohenlinden den Franzosen als Feinde gegenüberstanden, wurde unter russischer Vermittlung ein Plan vereinbart, wonach Bayern für die von Frankreich geforderten Abtretungen reiche Entschädigung durch alle angrenzenden fürstbischöflichen Gebiete – Salzburg und Passau eingeschlossen – erhalten sollte. Der Tod Kaiser Pauls beraubte aber Bayern eines ebenso mächtigen wie wohlwollenden Schutzherrn, so dass es bei Abschluss des Friedens von Lunéville nur im Allgemeinen auf Ersatz durch säkularisierte Gebiete vertröstet wurde. Recht und Gesetz waren in diesen Tagen suspendiert, jeder Staat suchte nur den eigenen Vorteil auf Kosten des Schwächeren. Kaiser Franz selbst gab gleichsam bedauernd zu verstehen, „daß sich nun wohl eine Trennung seiner Interessen von jenen des Nachbarn ergeben könnte“, und bald konnte das Münchener Kabinett nicht mehr daran zweifeln, dass Österreich mit den alten Absichten auf das bayerische Innufer hervortreten wolle. Jetzt konnte nur das „System Montgelas" retten, jetzt schien dem leitenden Minister der Augenblick gekommen zu sein, eine Politik einzuschlagen, welche den bayerischen Staat zwar für die Gegenwart in ein neues Abhängigkeitsverhältnis hineindrängen würde, allmählich aber so arrondiert und so angesehen machen sollte, dass er in Zukunft nach freiem Ermessen seine Freunde wählen und den Preis seiner Freundschaft festsetzen könnte. Nachdem es ohne Mühe gelungen war, den Kurfürsten zu überreden, dass die Pflicht der Selbsterhaltung ein solches Vorgehen entschuldige, wurde am 1. August 1801 Separatfriede und Bündnis mit Frankreich abgeschlossen.

Der Protektion des neuen Bundesgenossen, sowie den geschickten Operationen Montgelas’, der in seinem Auftreten stets Nachgiebigkeit und Festigkeit auf zweckmäßigste Weise zu vereinigen wusste, war es zu danken, dass Bayern durch den Reichsdeputationshauptschluss vom 26. April 1808 Vorteile eingeräumt wurden, welche den Verlust weit überwogen. Die untere Pfalz war nicht zu retten, aber die Territorien der säkularisierten Hochstifte Freising, Regensburg, Augsburg, Würzburg und Bamberg und Teile von Passau und Eichstätt kamen an Bayern, also lauter Gebiete, die sich um das Stammland günstig gruppierten. Jetzt erst konnte der alte Kern der Erblande wirklicher Mittelpunkt der Verwaltung werden; durch diese Erwerbungen in Schwaben und Franken, welche die bestentwickelte Landeskultur in ganz Deutschland hatten, war zu einer politischen Entwicklung Bayerns in größerem Stil die notwendige Grundlage geschaffen, und zugleich war es durch die Verbindung der altbayerischen Stabilität mit dem regeren Element der neuen Provinzen möglich gemacht, auf den Volksgeist so einzuwirken, wie es in Montgelas’ Absicht gelegen war. Denn auch auf die innere Politik übte Montgelas entscheidenden Einfluss aus.

In den ersten Jahren nach dem Regierungsantritt Max Josefs war neben Montgelas Baron Hompesch „auch dirigirender Minister“ und Graf Morawitzky Minister des geistlichen Departements; erst 1803 wurde dem Minister des Auswärtigen auch die Leitung der Finanzen und 1806 der inneren Angelegenheiten übertragen. Aber mochten auch vorher und nachher Andere neben ihm Minister heißen: es gab nur ein Ministerium Montgelas. Der Chef genoss das unbedingte und unbegrenzte Vertrauen des Monarchen, in seinen Händen liefen alle Fäden der inneren und der äußeren Politik Bayerns zusammen. Montgelas war in diplomatischen Kreisen als ein Repräsentant der alten französischen Schule angesehen, den Bayern galt er als revolutionärer Franzose. Er sprach und schrieb fast nur Französisch, im Deutschen fehlte ihm die Versatilität des Ausdrucks, die seinen französischen Stil auszeichnet. Ein kleines, scharfblickendes Auge, – so schildert der bekannte Ritter v. Lang die Persönlichkeit des Ministers, – eine lange, hervorstechende Nase, ein großer, spöttischer Mund gaben seiner Erscheinung etwas Mefistofelisches. Stets trug er das Hofkleid, Frack, kurze Beinkleider und weißseidene Strümpfe. Den Tafelfreuden war er nicht abhold, aber er würzte dieselben durch geistreiche Unterhaltung. Bei Vorträgen über schwierige Verhältnisse pflegte er, die Hände auf dem Rücken zusammengeschlagen, vor dem Kamin stillzustehen; häufig sagte er dann: „wissen Sie was, lassen wir die Sache noch eine Weile liegen!“ Sobald er aber den Augenblick für günstig erachtete, waren Entschluss und Handeln Eins und alle Rücksichten bei Seite geschoben.

Eine landesherrliche Verordnung vom 10. November 18O0, welche, „da in anderen in der Cultur fortschreitenden Staaten die Ausschließung anderer Religionsverwandten wegen ihrer Religionseigenschaft schon längst als der Vernunft und dem Geist der christlichen Religion zuwiderlaufend anerkannt worden ist“, die Gleichstellung der christlichen Konfessionen verkündete, inaugurierte die Reformen auf kirchenpolitischem Gebiet. Samt und sonders atmen sie den nämlichen Geist: es soll dadurch gebrochen werden mit Allem, was „den Grundsätzen des öffentlichen Rechts, dem Geiste der christlichen Religion, der Industrie, der sittlichen und wissenschaftlichen Cultur widerstrebt“. Es wurden jetzt gemischte Ehen in Bayern für erlaubt erklärt, das Verhältnis der geistlichen zur weltlichen Gewalt in Kirchen- und Schulfragen in freisinnigem Geist geregelt, ein weltliches Schuldirektorium mit der Aufsicht über das Schulwesen betraut, aufgeklärte Lehrer nach Bayern berufen. Auch die Verlegung der Landesuniversität von Ingolstadt nach Landshut (1804) war von der Absicht diktiert, die Anstalt völlig des mittelalterlich kirchlichen Charakters zu entkleiden.

Das Bücherzensurkollegium wurde, „weil es den liberalen Gang der Wissenschaften aufzuhalten scheine“, aufgehoben und eine Zensurkommission mit der Weisung zu einem „bescheidenen und liberalen Verfahren“ eingesetzt; 1804 wurde auch diese aufgelöst, und nur politische Zeitungen und Schriften sollten polizeilicher Zensur unterworfen bleiben. An diese Maßregeln, welche in das politische, kirchliche und soziale Leben des Staates mächtig eingriffen, reihte sich das Vorgehen gegen die Stifte und Klöster. Die Säkularisierung selbst stieß unter den damaligen Verhältnissen fast nur in den beteiligten Kreisen auf Widerspruch, aber die Härte, womit dabei zu Werke gegangen wurde, die sinnlose Wut, womit ein wahrer Vernichtungskampf gegen alles geistliche Besitztum eröffnet wurde, der Vandalismus, der alles Geschichtliche und Überlieferte ausrotten wollte, der Mangel an Pietät für die ehrwürdigsten und wertvollsten Denkmäler der Vergangenheit riefen auch Gegner im Lager derjenigen wach, die sich keineswegs gegen den Geist der neuen Zeit feindselig abschließen wollten. Über solche sogar von Perthes und Häusser streng verurteilte Gewalttätigkeit, Hast und Willkür füllte damals schon der in bayerischen Diensten stehende Heinrich Schenk ein richtiges Urteil. „Ganz ohne Vorwurf ist die Regierung in meinen Augen nicht“, schrieb er an Jacobi, „obgleich ich in der Hauptsache mit Allem, was geschieht, einverstanden bin. Sie vertraut der Wahrheit und der Zeit nicht genug und aus Furcht, es möchte wieder Nacht werden, wirkt sie mit übermäßiger Anstrengung, dieweil es noch Tag ist.“ Und Jacobi erwiederte: „Auch ich weiß, daß in Baiern mancherlei nicht gut und der Weg zum Besseren schwer zu finden oder zu bahnen; dagegen weiß ich aber auch, daß Anderes in Baiern sehr gut ist und daß man, solange sich dieses erhält, den Muth nicht sinken lassen darf.“

Ebenso radikal wie auf kirchenpolitischem Gebiet wurde in Verfassungsfragen vorgegangen. Montgelas glaubte gegenseitiges Einwirken und Ausgleichen der im neuen Bayern vereinigten verschiedenartigen Stammestypen nicht besser einleiten zu können, als wenn er alle Teile in ein Ganzes uniformierte. Auf das Extrem der feudalen Zersplitterung folgte das Extrem unbedingter und unerbittlicher Zentralisation. Alle aus hergebrachten historischen Verhältnissen herrührenden Gegensätze sollten beseitigt werden, nur eine Stimme galt: die der Regierung, und diese kannte nur ein Recht: die Forderungen der Zeit. Als nun der „premier ministre révolutionnaire““„ wie Hardenberg deshalb den Schöpfer des modernen Bayern nannte, auf ein Hindernis stieß, als der landständische Ausschuss gegen die „julianischen Neuerungen“ frondierte, wurde diese Einmischung auf schroffste Weise zurückgewiesen, und die gänzliche Beseitigung des letzten Überrestes des mittelalterlichen Ständewesens war nur noch eine Frage der Zeit.

Als 1805 der Krieg zwischen Frankreich und Österreich ausbrach, war für Montgelas nicht zweifelhaft, ob das Bündnis mit Frankreich oder die Rücksicht auf die alten Reichsgesetze den Vorzug verdiene. Da sich, erklärt er in den Memoiren, aus einer unparteiischen Prüfung der Talente der Heerführer, sowie der Beschaffenheit der Armeen mit Sicherheit annehmen ließ, dass sich der Sieg auf die Seite der Befähigung und des Genie schlagen werde, war Anschluss an Frankreich das Nützlichere, mithin das Richtige. Den von englischer Seite erhobenen Vorwurf der Bestechung weist er energisch zurück; die französische Regierung, bemerkt er dazu, sei allezeit geneigter gewesen, zu nehmen als zu geben. Kurz vor Eröffnung der Feindseligkeiten schickte Kaiser Franz den Fürsten Schwarzenberg nach München, und die Vorstellungen des Gesandten machten auf den Kurfürsten so erschütternden Eindruck, dass er sich, obwohl schon am 29. August im Landhaus des Ministers zu Bogenhausen bei München der Allianzvertrag mit Frankreich unterzeichnet war, zur Umkehr und zur Annahme der österreichischen Anträge entschloss. Nun warf aber Montgelas seinen ganzen Einfluss in die Waagschale. Er bat um seine Entlassung, der Kurfürst wagte nicht sie anzunehmen und wechselte abermals seinen Entschluss, zur Bestürzung des Fürsten Schwarzenberg, der sich schmählich mystifiziert glaubte. Zum ersten Mal seit Karls VII. Zeiten kämpften die bayerischen Truppen wieder an der Seite der Franzosen.

Wie Montgelas richtig vorausgesehen hatte, wurde der Feldzug von Napoleon rasch und mit glänzendem Erfolg zu Ende geführt. Ein am 8. Oktober 1805 zwischen Frankreich und Bayern abgeschlossener Vertrag brachte dem Bundesgenossen den Gewinn der Hochstiftsgebiete Eichstätt und Passau, der Markgrafschaft Burgau, der Herrschaften Vorarlberg, Montfort und Hohenems und der Reichsstädte Lindau und Augsburg; das Herzogtum Berg wurde gegen Ansbach und das Großherzogtum Würzburg gegen Tirol abgetreten. Die Erhebung Bayerns zum Königreich war, wie aus den Memoiren ersichtlich wird, im Wesentlichen eine Belohnung für die Zustimmung Max Josefs zur Vermählung des Vizekönigs Eugen Beauharnais mit der königlichen Prinzessin Auguste. Napoleon sah in dieser Heirat geradezu eine Lebensfrage für sein Kaisertum. Montgelas bedauert nur, dass man zu lange wartete und endlich doch dem Zwang sich fügen musste, während früher Alles dafür zu erlangen gewesen wäre; erst als Napoleon drohen ließ, er werde die Prinzessin durch französische Truppen abführen lassen, gaben Max Josef und seine Gemahlin ihren Widerstand auf.

Für die Stiftung des Rheinbundes will Montgelas nicht in erster Reihe verantwortlich gemacht werden; die Initiative habe der Stuttgarter Hof ergriffen, der schon am 2. Oktober 1805 dem Kaiser Napoleon sehr weitgehende Zusagen machte, was dem bayerischen Ministerium so lange mit ernstem Tadel vorgehalten wurde, bis auch hier nachgegeben wurde. Der Entwicklung des neuen Bundes folgte Montgelas tatsächlich nicht ohne Misstrauen, denn ihn und noch mehr den friedliebenden Monarchen schreckte insbesondere die Verpflichtung, dass sich Bayern fortan bei allen Kriegen Frankreichs auf dem Kontinent beteiligt sah. „Hätte man aber bei der Machtstellung, zu welcher Frankreich emporgestiegen war, sich dieser Verpflichtung entziehen können, und war dasselbe nicht ohnehin jederzeit als Freund oder als Feind ins Auge zu fassen? . . . Uebrigens wäre auch die Frage berechtigt, ob denn zu irgend einer Zeit Deutschlands geographische Lage und politische Ohnmacht ihm gestatteten, sich diesen verderblichen Einwirkungen zu entziehen?“ Montgelas war überdies des Glaubens, dass nur durch den Rheinbund eine gewisse Stabilität der deutschen Verhältnisse bewahrt bleiben konnte, so dass nicht alles Bestehende über den Haufen geworfen wurde. Man müsse in der Politik, bemerkt er, die Sentimentalität aus dem Spiele lassen; deshalb gibt ihm auch die Hinrichtung des Buchhändlers Palm nur zum Vorwurf Anlass, dass die Handlungsweise des „von Lobpreisungen berauschten und jederzeit für die gegen ihn gerichteten Schmähungen überempfindlichen Napoleon“ „unpraktisch“ war, schon deshalb, weil sie dem „unbequemen Stand der Gelehrten“ Gelegenheit gab, einen Märtyrer der deutschen Freiheit zu feiern.

Dass Bayern am Kriege von 18O6 teilnehmen müsse, stand für Montgelas noch entschiedener als im vorigen Jahre außer Frage, denn „es war jetzt an Frankreich durch ein allzu entschiedenes Interesse der Sicherheit und Selbsterhaltung gebunden“, und überdies hatte das Berliner Kabinett bei verschiedenen Anlässen „ein unbegreiflich widerstrebendes und hochfahrendes Wesen gegenüber Baiern gezeigt, wie es die großen Mächte so gern gegenüber denjenigen untergeordneten Ranges annehmen.“ Als mitten während des Krieges mit Preußen und Russland der bayerische Kronprinz den Plan einer Vermählung mit der Großfürstin Katharina aufnahm, war Montgelas ängstlich bestrebt, den „internationalen Scandal“ zu verhüten, wie ihm denn auch der Franzosenhass des Prinzen, der mit Wrede und Hans Gagern zu Mondsee nächtlicher Weile einen Bund, ähnlich jenem der schweizerischen Eidgenossen auf dem Rütli, schloss, nur als jugendliche Unbesonnenheit erschien. Aus der freimütigen Schilderung der Memoiren lässt sich übrigens deutlich entnehmen, in welch schwieriger Stellung sich schon damals ein Staatsmann befand, der einerseits jeder Laune des Despoten Napoleon, „der sich nur von seiner leidenschaftlichen Herrschsucht leiten ließ“, Rechnung tragen musste, andererseits im eigenen Lande eine große und täglich wachsende Partei gegen sich hatte, welche aus ihrer Abneigung gegen die drückende Franzosenherrschaft kein Hehl machte.

Auch die Konstitution von 1808 wurde Bayern durch den Protektor des Rheinbundes aufgedrungen. Montgelas hatte zwar einmal (1803) Konferenzen mit den ständischen Verordneten eröffnet, um „eine den Forderungen der Neuzeit entsprechende Reform der ständischen Verfassung“ zu beraten, aber nach der radicklen Umwälzung, welche der Staat in den letzten Jahren erfahren hatte, – war ja doch z. B. durch die Säkularisation fast der ganze Prälatenstand beseitigt worden, – wäre eine solche Reform wirklich schwer durchzuführen gewesen und sie passte überhaupt nicht in das herrschende System. Die Regierung hatte vorgezogen, durch eine Reihe „vorläufiger Edicte“ wichtige Verfassungsfragen zu regeln. Nun musste aber dennoch auf Andringen der kaiserlichen Regierung eine der westfälischen nachgebildete Konstitution bewilligt werden. Der erste Artikel der am 1. Mai 1808 publizierten Urkunde erklärte alle besonderen Verfassungen und landschaftlichen Korporationen im ganzen Reich für aufgehoben. Das neue Grundgesetz hat alle Licht- und Schattenseiten des Ministeriums Montgelas, d. h. des aufgeklärten Absolutismus, aufzuweisen. Es verkündete Gleichheit aller Untertanen vor dem Gesetz, Entziehung der Steuerbefreiung und aller sonstigen reellen Vorrechte des Adels und der Geistlichkeit, Aufhebung der Leibeigenschaft, Sicherung der persönlichen Freiheit und des Eigentums, des Kirchen- und Stiftungsgutes, Unabhängigkeit der Gerichte, Zusicherung von Presse- und Gewissensfreiheit, endlich auch eine sogenannte Volksvertretung, die jedoch, ohnehin nur mit sehr geringen Befugnissen ausgestattet und auf die Höchstbesteuerten beschränkt, überhaupt niemals berufen wurde. Dies erklärt sich ebenso aus den Prinzipien des Ministers, der an die Möglichkeit eines in gegliederten Körperschaften selbsttätig und selbständig sich bewegenden staatsbürgerlichen Lebens nicht glauben wollte, als aus der andauernden Verwicklung des Staates in die Napoleonischen Feldzüge und dem nimmer endenden Wechsel der Gebietsgestaltungen.

Als das Wiener Kabinett 1809 den Krieg eröffnete, beschränkte es sich auf eine Mitteilung an den König von Bayern, dass die am Inn stehende österreichische Armee Befehl zum Vormarsch habe, um die französischen Truppen, wo immer man sie treffen möge, anzugreifen. Im Augenblick dieser Eröffnung war die Grenze schon tatsächlich überschritten; nun flüchteten sich die königliche Familie und die Minister nach Dillingen, die bayerischen Truppen stießen zur großen französischen Armee. Ausführlich erörtert Montgelas in den Memoiren die Ursachen des Tiroler Aufstandes. Er räumt ein, dass von Seite der bayerischen Regierung schwere Fehler begangen wurden, versichert aber, dass später, als die Bewältigung des Aufstands schon außer Frage stand, Frankreich selbst eine mehr als zweideutige Rolle gespielt habe, indem es einerseits den Tirolern zu verstehen gab, ein guter Teil ihrer Beschwerden sei begründet, andererseits in München fortwährend betonen ließ, dass die Tiroler nur durch äußerste Strenge im Zaum zu halten seien. Durch solche Umtriebe sollte von vornherein auf Südtirols Lostrennung von Bayern und Anschluss an Italien hingearbeitet werden. Umsonst suchte Montgelas diese Absicht Napoleons zu bekämpfen, umsonst eilte Max Josef selbst nach Paris, um eine Sinnesänderung des Kaisers zu erwirken; in einem am 28. Febr. 1810 zu Paris unterzeichneten Traktat musste sich Bayern zu jener Abtretung an Italien, sowie zum Verzicht auf weniger bedeutende Distrikte an Würzburg und Württemberg verstehen, erhielt jedoch wieder reichen Ersatz durch Teile von Salzburg, das Inn- und Hausruckviertel und die Fürstentümer Bayreuth und Regensburg.

In welch hohem Maße Montgelas damals das Vertrauen seines Königs genoß, zeigte sich darin, dass dieser vor der Reise nach Paris nicht, wie es in solchen Fällen üblich, das Gesamtministerium, sondern nur den ersten Minister mit der Stellvertretung betraute. Durch Signat vom 7. November 1809 wurde Montgelas auch, um ihm „ein Zeichen der dankbaren Erinnerung sowohl der bewährtesten Treue und Anhänglichkeit, als der wichtigen Dienste zu geben, welche derselbe in der inneren und äußeren Politik in den gefahrvollsten Zeiten dem Vaterland geleistet hat und noch leistet“, in den Grafenstand erhoben, und zum Andenken daran, dass mit diesen Verdiensten die Erhebung Bayerns zum Königreich in innigstem Zusammenhang stand, sollte er fortan im silbernen Mittelschild seines Wappens drei blaue, nebeneinander aufrecht stehende bayerische Wecken mit darüber schwebender Königskrone führen; zugleich wurde ihm eine Majoratsdotation im Wert von 250.00O Gulden, dass Herrschaftsgericht Zaitzkofen, zu Lehen gegeben.

Das Jahr 1810 bezeichnet den Höhepunkt des Einflusses; und der Macht des Ministers. Es erschien jetzt nicht mehr bloß als ehrgeiziger Traum, dass Bayern diejenige Selbständigkeit, welche Montgelas dafür anstrebte, wirklich erreichen könne. Den durch die Rheinbundakte auferlegten Verpflichtungen wurde pünktlich nachgekommen, aber jede direkte Einmischung des Protektors in die inneren Angelegenheiten nach Möglichkeit abgelehnt. Insbesondere seit Montgelas selbst zur Unterzeichnung des oben erwähnten Traktats in Paris verweilt hatte, war sein G1aube an den Stern Napoleons erschüttert. Aus dem Schweigen des Volks beim Einzug Napoleon’s und seiner „Oesterreicherin“ und dem würdelosen Verlauf der Hochzeitsfeierlichkeiten hatte er die Überzeugung gewonnen, dass in Frankreich ein allgemeiner Umschwung bevorstehe. „Ein aufmerksamer Beobachter konnte gewahr werden, daß das Regiment Napoleon’s nur noch auf der Armee und dem Schatze beruhe, und die Mutter des Kaisers selbst machte kein Hehl aus dieser Ueberzeugung, indem sie sagte: „Es ist nothwendig, zu sparen, denn niemand kann wissen, wie lange noch diese Comödie dauern wird“.

Der Ausgang des russischen Feldzuges, der auch Bayern schwere Opfer kostete, widerlegte die Meinung von Napoleon’s Unbesiegbarkeit, auch die sächsische Kampagne im folgenden Jahre führte nur zu zweifelhaften Ergebnissen: damit war die Stellung der mit dem Kaiser Verbündeten deutschen Fürsten von Grund auf verändert. Ein Blick auf die fränkischen Fürstentümer, auf Tirol und das östliche Innufer musste jedoch zu bedenken geben, was für Bayern auf dem Spiele stehe. Andere Pflichten freilich hatte Kronprinz Ludwig im Auge. Von Innsbruck aus, wo er als Statthalter von Tirol sich aufhielt, richtete er schon am 6. April 1813 an Montgelas die ernste Mahnung, es möge wenigstens Neutralität für Bayern angestrebt werden; nur dadurch könne ein neuer Aufstand in Tirol verhindert, nur dadurch für Bayern die Achtung des deutschen Volks, die der Satellit des fremden Despoten verloren habe, wieder erworben werden. Montgelas ließ diesen Brief, sowie ein anonymes Schreiben aus dem Hauptquartier der Alliierten, das den Wunsch nach einer beruhigenden Erklärung Bayerns zu erkennen gab, unbeantwortet, eröffnete aber dem französischen Gesandten in München, dem Grafen Mercy-Argenteau, die Pflicht der Selbsterhaltung erheische, dass die von Bayern zu leistende Hilfe streng nach der zu erwartenden Gegenleistung bemessen und deshalb die bayerische Hauptarmee zur Deckung des eigenen Landes zurückgehalten werde.

Immer wieder bestürmte der Kronprinz den einflussreichsten Ratgeber seines Vaters, er möge schleunigen Anschluss an die Verbündeten suchen; er selbst habe sich überzeugt, dass Tirol, dessen Bevölkerung durchaus auf Wiedervereinigung mit Österreich bestehe, nicht zu halten sei, Montgelas möge also nicht, um Tirol zu retten, länger Bedenken tragen, Österreich die Hand zu reichen. Wohl nicht solche Warnung, sondern erst ein Schreiben Kaiser Alexanders vom 31. August, worin Gewährleistung des bayerischen Besitzstandes und ausreichende Entschädigung für den Fall einer Grenzbereinigung zugesichert war, machte den Vorsichtigen geneigt, auf Unterhandlungen einzugehen. Er gesteht freimütig, dass auch diesmal nur ein nüchternes Abwägen von Vorteil und Gefahr zur Änderung des Systems bewog. Vor Allem habe das rätselhaft reservierte Benehmen Frankreichs gegen den wichtigsten Verbündeten förmlich dazu genötigt, den Anerbietungen der Gegner, denen Bayern hilflos preis gegeben war, Gehör zu schenken.

Zum Abfall von Napoleon drängte neben dem Kronprinzen am eifrigsten der Befehlshaber des am Inn stehenden bayerischen Corps, Marschall Wrede, der damit seine politische Tätigkeit als ausgesprochener Widersacher des leitenden Ministers eröffnete. Aus dem Tagebuch des von Wrede nach München entsandten Adjutanten, Fürsten Taxis, lässt sich ersehen, dass Montgelas nur widerstrebend zum wirklichen Bruch mit Frankreich seine Zustimmung gab. Mercy-Argenteau erzählt in seinen Memoiren, dass Montgelas selbst ihn vom Abschluss des Traktats von Ried (8. Okt. 1813) in Kenntnis gesetzt und daran die beruhigende Versicherung geknüpft habe, Bayern müsse zwar für den Augenblick dem Sturm weichen, werde sich aber, sobald sich die Wolken gelichtet hätten, daran erinnern, wo es seine wahren Freunde zu suchen habe. „Baiern hat ein Frankreich nöthig“. Die Depesche über diese Unterredung, welche der Gesandte an den Kaiser schickte, fiel den Österreichern in die Hände; natürlich betrachtete fortan das Wiener Kabinett den „unverbesserlichen Franzosenfreund“ mit Misstrauen und suchte auf dessen Entfernung einzuwirken. Noch genoss er das Vertrauen seines Königs, aber seine Stellung war erschüttert; dies bewies am deutlichsten die Tatsache, dass nicht der bisher tonangebende Minister, sondern der Führer der deutsch-nationalen Partei, Fürst Wrede, mit Vertretung Bayerns auf dem Wiener Kongress betraut wurde. Nicht ohne einer von seinem Standpunkte verzeihlichen Schadenfreude Ausdruck zu geben, sucht Montgelas in seinen Denkwürdigkeiten nachzuweisen, dass Bayern nur in Folge der ungeduldigen Heftigkeit des säbelrasselnden Diplomaten der angestrebten Abrundung verlustig ging. Zeitweise hielt sich der Minister selbst in Wien auf; er entwirft von den dort versammelten Fürsten und Diplomaten Porträts, die in Bezug auf Schärfe der Beobachtung und Feinheit der Zeichnung geradezu mustergültig zu nennen sind. Für die deutsche Sache hatte er überhaupt kein Verständnis; dies war ihm kaum als Fehler anzurechnen in jener Zeit, da deutscher Patriotismus als contradictio in adjecto erschien, aber auch aus den Ereignissen von 1813–1815 zog er keine Lehre: dies dient der bald darauf eintretenden Katastrophe zur Rechtfertigung.

Montgelas sah in den aufgetauchten nationalen Bestrebungen nur Machinationen einer Partei, die sich „aus überspannten oder ehrgeizigen Offizieren und aus sämmtlichen Gelehrten und Professoren mit wenig Ausnahmen zusammensetzte“. Er nimmt geradezu als Verdienst in Anspruch, dass die Umtriebe dieser Propaganda vereitelt wurden und der neugestiftete deutsche Bund nur eine inhaltslose Form blieb; ironisch weist er darauf hin, dass Bayern zwar unmittelbar nach dem Befreiungskrieg im Kampf gegen den deutschen Einheitsstaat so ziemlich allein gestanden habe, dass sich aber seither auch Preußen und Österreich ebenso gründlich von jenen Bestrebungen schwärmerischer Doltrinäre abgewendet hätten. Es kann demnach nicht überraschen, dass gerade Stein ein erbitterter Gegner des bayerischen Ministers war, aber es ist zu bedauern, dass er, um dessen Einfluss zu bekämpfen, auch den Beistand eines verächtlichen Bundesgenossen nicht verschmähte. In Steins Auftrag schrieb der wegen Betrugs verurteilte und aus Bayern flüchtige Graf Reisach das Pamphlet „Baiern unter der Regierung des Ministers Montgelas“, das darauf berechnet war, die Eifersucht des Königs auf die vom Minister gewonnene Übermacht wachzurufen. Mag auch in der Broschüre, wie Häusser sagt, „mancher Zug aus der wilden Wirtschaft Montgelas’scher Bureaukratie“ richtig verzeichnet sein, so bleibt sie doch in Form und Inhalt ein unwürdiges Schmählibell.

Montgelas ließ durch Lang eine Verteidigungsschrift verfassen, „Der Minister Graf Montgelas unter der Regierung König Maximilians von Baiern“. Lang wollte darin auch, wie er in seinen Memoiren sich ausdrückt, „das bei den ehemaligen Baierischen Provinzialständen getriebene nutzlose Spiel“ schildern; Montgelas riet jedoch davon ab, „indem vorauszusehen sei, daß man, obgleich in anderer Art, wieder auf dieselbe Geschichte zurückkommen werde“. Schon im Herbst 1814 war eine Kommission zur Ergänzung der Konstitution von 1808 berufen worden; das Ergebnis der Beratungen bildeten Anträge, die dem Volk ungefähr dasjenige Maß konstitutioneller Rechte einräumen wollten, das mit den Prinzipien des Ministeriums Montgelas vereinbar war, also so ziemlich die Negation alles dessen, was Feuerbach und andere Verfassungsfreunde dringend forderten. Auch Kronprinz Ludwig hielt, hauptsächlich um Ordnung in das durch die vielen Kriege und die gesteigerten Kosten des Hofhalts zerrüttete Finanzwesen zu bringen, eine weiter reichende Mitwirkung der Volksvertretung an der Regierung für geboten. Um diese Auffassung zur Geltung zu bringen und neue Rheinbundpläne zu verhindern, suchte er auf jede Weise den Einfluss des Ministers zu untergraben. „Der Haß des Prinzen gegen Napoleon“, so urteilt darüber Montgelas selbst, „erstreckte sich auch auf den Minister, da er nicht genau zwischen einem durch besondere Umstände veranlaßten Bündniß und einer wirklich rückhaltlosen Hingebung unterschied, dem Minister als Urheber des Vertrags von 1805 Gefühle dieser letzteren Art zuschrieb und ihm außerdem die Schuld an verschiedenen Unannehmlichkeiten beilegte, die er sich selbst zugezogen hatte, mit Unrecht aber von der Verbindung mit Frankreich herleitete“.

Seinen leidenschaftlichsten Gegner erblickte Montgelas in Wrede, der, wie er glaubte, in München und in Wien am rührigsten gegen ihn agitierte. „Er reiste im November 1816 nach Wien, muthmaßlich zur Besprechung mit dem Erzbischof und der clericalen Partei, welcher er sich schon 1814 genähert hatte, und welche großes Gewicht auf einen Wechsel des bairischen Ministeriums legte“. Erwiesen ist dieser Umstand allerdings nicht, ebenso wenig dass das kaiserliche Kabinett von den Umtrieben Kenntnis gehabt oder sie begünstigt habe; allein soviel darf man wohl als gewiss annehmen, dass Österreich, wenn es sich auch nicht geradezu und unmittelbar an den Vorbereitungen zu einem Ministerwechsel in Bayern beteiligte, denselben jedenfalls nicht ungern sah; der Geschäftsträger Wessenberg erklärte ja am Tage des Ereignisses ohne Umschweife: „Nun sind wir sicher, thun zu können, was uns gefällt!“ Zudem hat Fürst Wrede seither sich selbst gerühmt, es hätte die Bombe schon in Wien (während eines Besuchs des Königs bei seiner Tochter, der Kaiserin) platzen können, er habe es aber hintangehalten, damit nicht unser Volk auf den Gedanken komme, die Sache sei von Oesterreich ausgegangen“.

Den Ausschlag ein Brief des Kronprinzen an seinen Vater, worin über die undeutsche Haltung der bayerischen Regierung Klage geführt und zugleich dem Bedauern Ausdruck gegeben war, dass sich gewisse Diener des Königs erlaubten, des Prinzen Person und Aufführung in ungünstigem Lichte darzustellen. Am 2. Februar 1817 erhielt Montgelas, während er gerade beim Frühstück saß, ein königliches Handbillet, dass ihn in schmeichelhaftesten Ausdrücken benachrichtigte, dass ihm aus wiederholtes Ansuchen – wovon jedoch niemals die Rede gewesen war – die Entlassung aus dem aktiven Dienst unter Beibehaltung des vollen Gehalts samt Titel, Rang und sonstigen Vorrechten eines Staatsministers gewährt sei. „Wohl hätte der Minister, wenn er selbst an den Hof geeilt wäre, eine Intrigue vereiteln können, welche dem Monarchen unbekannt war, und welcher er nur mit Widerstreben sich fügte, allein abgesehen davon, dass ihm sein Gesundheitszustand nicht auszugehen erlaubte, hielt er es bei der Art, wie sich die Dinge gestaltet hatten, nicht für der Mühe wert, die Zügel ferner in den Händen zu behalten, mögen darüber andere wie immer denken oder urteilen . . . . . Auf eine so eigenthümliche, fast dramatisch zu nennende Weise ging eine achtzehnjährige Verwaltung zu Ende, welche sich im Ganzen nicht unvorthei1haft für das Land erwiesen hatte und deren Beseitigung auch nicht so viel Gutes wirkte, als manche Personen vorauszusetzen sich den Anschein gaben“. Auch der objektiv urteilende Historiker darf diese Anschauung als berechtigt anerkennen.

Montgelas übernahm 1799 die Leitung über ein zerrüttetes, wehrlos der Begierde des Nachbarn preisgegebenes Kurfürstentum von 938 Quadratmeilen; 1817 war Bayern ein wohl abgerundetes und angesehenes Königreich von 1387 Quadratmeilen, und gerade während die Bayern unter französischen Adlern gefochten hatten, war das von Karl Theodor in kläglichster Verfassung zurückgelassene Land durch die von Montgelas angestrebte Hebung des geistigen Lebens gleichsam für Deutschland wiedergewonnen worden. Denn wenn auch, wie nachgewiesen wurde, auf einzelne Erscheinungen der Vorwurf der Gewaltsamkeit und der Friovlität passen mag – im Allgemeinen bewährte sich Montgelas als ein auf der Höhe der Zeit stehender Staatsmann, der als der Schöpfer des modernen Bayern bezeichnet werden kann.

Seit der Katastrophe von 1817 hielt sich Montgelas abwechselnd in München und auf seinen Gütern auf. Er wurde, als bald nach seiner Entlassung die Verfassung ins Leben trat, Mitglied der Kammer der Reichsräte, und als das Institut der Landräte als Organ zur Vertretung der einzelnen Landesbezirke gegründet wurde, Vorsitzender des niederbayerischen Landrats, hat aber eine bedeutende parlamentarische Tätigkeit nicht entfaltet. Dagegen lässt sich aus den von Frau von Herzog veröffentlichten Briefen ersehen, dass er auch in hohem Lebensalter noch nicht aufhörte, den Fragen der inneren und der äußeren Politik vollste Aufmerksamkeit zu widmen. In den letzten Lebensjahren söhnte er sich, wie Freyberg mitteilt, durch die Lektüre des Thomas a Kempis umgestimmt, mit der katholischen Kirche aus. Glücklichen Gleichmut bewahrte er bis an sein Ende. Er starb zu München am 14. Juni 1838. Schon bald nach seinem Sturz hatte er seine Gemahlin verloren, Gräfin Ernestine von Arco, eine geistvolle, ehrgeizige Dame, deren Einfluss auf den Gatten und den König, wie sich aus noch vorhandenen, auch auf Fragen der inneren und der äußeren Politik eingehenden Briefen entnehmen lässt, nicht unbeachtet gelassen werden darf.

Quelle: Karl Theodor von Heigel

Bibliographie

  • Handschriftliche Memoiren (es scheint nur noch die Section quatrième des maximes suivies relativement à la politique extérieure depuis le 16 février 1799 jusqu’au 2. fevrier 1817 vorhanden sein).
  • Aus den Aufzeichnungen des b. Staatsministers Grafen von Montgelase; Historisch-politische Blätter, 33. Bd., S. 85 ff.
  • Briefe des Königs Max Josef u. des Kronprinzen Ludwig an Montgelas
  • Briefe des Staatsministers Grafen Montgelas Herausgegeben von Julie von Herzog, 1853 (Originalien jetzt im Münchner Reichsarchiv).
  • Personalakten im Kreisarchiv München.
  • Gerichte in der Unterwelt über einige Manen aus dem Lande Baiern (1800).
  • Galerie der merkwürdigsten baierischen Staatsbeamten, 3. Heft.: Maximilian Frhrr. v. Montgelas (1803).
  • Ein paar Worte über die schamlose Schmähschrift: Gal. d. merkw. b. Staatsbeamten (1803).
  • Fragmente aus dem Leben des k. b. Staatsministers Grafen von Montgelas, 1818.
  • Erinnerungen an die Wirksamkeit des Grafen Montgelas, 1838, (ein Teil der Auflage trägt den Titel: „Historische Denkwürdigkeiten des bairischen Staates unter Montgelas“)
  • Freyberg, Max v.: Rede zum Andenken an den Staatsmin. Maximilian Graf von Montgelas, 1839.
  • Heigel, Karl Theodor von: Allgemeine deutsche Biographie, Bd. 22 (Leipzig 1885)
  • Lang, K. H. v.: Der Minister Graf von Montgelase unter der Regierung König Maximilians von Baiern, 1814.
  • Reisach-Steinberg, Karl August von: Baiern unter der Regierung des Ministers Montgelas (1814).
  • Sicherer, v.: Staat und Kirche in Baiern vom Regierungsantritt des Kurfürsten Max Jos. IV bis zur Erklärung von Tegernsee, 1874.

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